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19.05.23 Capsaspora – ein Modell für die Entstehung der Vielzelligkeit?
Der Einzeller Capsaspora wird als Modell für die evolutive Entstehung von Mehrzelligkeit diskutiert. Oder verlief die Entwicklung andersherum? Ein Einzeller verlor seine Fähigkeit, vielzellige Stadien zu bilden? Es wird allgemein angenommen, dass das erste einfache einzellige Leben vor etwa 3,5 bis 4 Milliarden radiometrischen Jahren entstanden ist. Komplexere Formen – mehrzellige Lebewesen – sollen sehr lange für ihre Entstehung gebraucht haben, wobei Tiere erst vor etwa 600 Millionen radiometrischen Jahren auftraten. Wie sich mehrzellige tierische Lebensformen entwickelt haben, ist nicht bekannt. Es bedurfte jedenfalls der Erfindung eines neuen Zelltyps, der eukaryotischen Zelle. Im Gegensatz zu den Prokaryoten wie Bakterien, aus denen sie entstanden sein sollen, haben eukaryotische Zellen mehrere membrangebundene Organellen. Sie besitzen einen Zellkern, der die DNA enthält und sozusagen als Betriebszentrum fungiert. Endoplasmatisches Retikulum und Golgi-Apparat sind an der Produktion, Reifung und dem Transport von Proteinen beteiligt. Und es gibt Mitochondrien, membrangebundene Organellen, die Energie (ATP) bereitstellen. Vakuolen als Speicherräume scheiden Abfallstoffe ab und erhalten den Wasserhaushalt aufrecht. Dennoch glauben Evolutionsforscher, dass Eukaryoten sich aus einfacheren, einzelligen Mikroben entwickelt haben, höchstwahrscheinlich durch Endosymbiose, d. h. durch die Verschmelzung mehrerer einzelliger Mikroben (Martin 2015; Borger 2020). Nach evolutionstheoretischer Auffassung sollen sich die Tiere (Metazoa) aus einem eukaryotischen Einzeller entwickelt haben – denn alle Tiere sind vielzellige Gebilde aus eukaryotischen Zellen. Das ist jedoch nicht so einfach, denn in mehrzelligen Organismen müssen verschiedene Zellen unterschiedliche Aufgaben übernehmen; es gibt eine Aufgabenteilung. Die Zellen müssen daher kooperieren und zusammenarbeiten, damit der Organismus als Ganzes funktionieren kann. Dies erfordert unter anderem eine viel größere Steuerungs- und Organisationsleistung der DNA, da nicht alle genetischen Programme gleichzeitig in denselben Zellen aktiv sein müssen. Deshalb ist die Mehrzelligkeit im Vergleich zu Einzellern immer mit einer größeren regulatorischen Komplexität der DNA verbunden. So ist die DNA um Histon-Proteine gewickelt und es gibt einen Histon-Code, um die richtigen Programme in den jeweiligen unterschiedlichen Zellen zu aktivieren. Um mehrzellige Tiere bilden zu können, die aus funktionell unterschiedlichen Zellen bestehen, ist außerdem ein Kommunikationssystem zwischen den Zellen erforderlich. Neue Forschungsergebnisse, die in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) vorgestellt wurden, zeigen nun außerdem, dass es einer chemischen Sprache bedarf, um von einem einzelligen Organismus zu einem mehrzelligen Vorfahren der Tiere werden zu können (Ros-Rocher 2023). Die Studie befasste sich mich Capsaspora owczarzaki, einem einzelligen Eukaryoten (einen so genannten Protisten). Es handelt sich um eine winzige Amöbe von etwa 3 bis 5 Mikrometern Länge mit Zellfortsätzen, den so genannten Filopodien, mit denen sie sich am Substrat festhält. Ursprünglich wurde der als Symbiont bekannte Einzeller aus der Hämolymphe („Blut“) einer Süßwasserschnecke in Puerto Rico isoliert. Evolutionstheoretiker betrachten Capsaspora als einen engen einzelligen Verwandten der Tiere, da diese Gattung sehr ähnliche Merkmale im Erbgut aufweist – einschließlich Histon-assoziierter DNA in einem Zellkern. Außerdem kann Capsaspora mehrzellige Aggregate bilden – Zellen, die sich zusammenballen und aneinanderhaften, ähnlich wie bei Schwämmen oder Süßwasserpolypen (Hydra). Da Capsaspora im Labor leicht gedeiht und als aneinanderheftende Kette schnell in die Länge wächst, ist dieser Einzeller zu einem Modell geworden, um den Ursprung der Mehrzelligkeit zu untersuchen (Ferrer-Bonet 2017). In der in PNAS vorgestellten Studie wurden chemische Methoden wie Massenspektrometrie und Kernspinresonanzspektroskopie eingesetzt, um zu entschlüsseln, welche Moleküle kooperative bzw. konkurrierende Reaktionen zwischen einzelnen Capsaspora auslösen. Für ihre Studie fügten die Forscher systematisch Komponenten eines flüssigen Wachstumsmediums zu Capsaspora hinzu und entfernten sie wieder, um festzustellen, welche Komponenten das Zusammenhaften der Zellen regulierten. Es zeigte sich, dass die vielzellige Aggregation von Capsaspora durch Kalzium-Ionen und Lipide in Lipoproteinen angeregt wird. Sie entdeckten auch, dass die Capsaspora-Aggregation ein reversibler Prozess ist, der von der Konzentration dieser Faktoren abhängt (Ros-Rocher 2023). Einer der führenden Forscher, J. P. Gerdt, Assistenzprofessor für Chemie am IU Bloomington College of Arts and Sciences, sagte: „Wir haben jetzt ein besseres Verständnis dafür, wie die Vorfahren der Tiere diese Veränderung mit Hilfe von chemischen Signalen vollzogen haben könnten.“ Roach (2023) kommentierte, die Studie zeige den ersten Schritt „zur Entdeckung der chemischen ‚Sprachen‘ von Mikroorganismen.“ Es ist schon länger bekannt, dass amöbenartige Eukaryoten mehrzellige Aggregate bilden können, insbesondere während der Phase der sexuellen Fortpflanzung. Dies erfordert eine Fülle neuer genetischer Information im Vergleich mit ausschließlich einzellig lebenden Protisten. Frühere Arbeiten an Capsaspora haben auch gezeigt, dass der einzellige Vorfahre der Tiere – evolutionstheoretisch gesehen – genetisch viel komplexer gewesen sein müsste als bisher angenommen. Er verfügte demnach vermeintlich nicht nur über viele Gene, die an der Anheftung von Zellen und Signalweitergabe beteiligt sind, sondern auch über eine komplexe und zelltypspezifische phosphatvermittelte Signalübertragung, die an der Regulierung der Genexpression beteiligt ist. So besitzt Capsaspora die typische Ausstattung mehrzelliger Organismen wie Integrine und Protein-Tyrosin-Kinasen, die für den Zellkontakt und die Signalübertragung verwendet werden (Ferrer-Bonet 2017). Ein entscheidendes Merkmal mehrzelliger Tiere ist ihre Fähigkeit, durch zeitlich und räumlich regulierte Entwicklungsprogramme mehrere spezialisierte Zelltypen hervorzubringen. Der Einzeller Capsaspora verfügt über ein komplexes Repertoire an Genen, welche mit vielzelligen Prozessen verbunden sind. Dazu gehören auch Histone, die den für die zelluläre Differenzierung und die Mehrzelligkeit erforderlichen Histon-Code bereitstellen. Histone bilden die so genannten Nukleosomen (d. h. Proteinkomplexe, um die die DNA gewickelt wird) und bestehen aus 8 Histon-Proteinen (2xH2a, 2xH2b, 2xH3 und 2xH4). Die jeweiligen Histone können chemisch modifiziert werden, so dass sie wie ein Code funktionieren, der die Zugänglichkeit der DNA regelt (eine lockere Verpackung der DNA ermöglicht das Ablesen der Gene). Offensichtlich ist der Histon-Code, insbesondere der von H3 und H4, zwischen Capsaspora und allen anderen Eukaryoten in hohem Maße konserviert (Sebé-Pedrós 2016), also sehr ähnlich. Diesen Befund kann man auch so deuten, dass der Histon-Code nicht evolvierte, sondern einfach von Beginn des eukaryotischen Lebens an vorhanden war. In der Tat tauchen („emerge“) spezifische Enhancer- und Promotor-Merkmale gemäß phylogenetischer Analysen an der Basis der Metazoa auf, zusammen mit der Expansion und Umgestaltung von Transkriptionsnetzwerken und nicht-kodierenden RNA-Systemen, die eine fein abgestimmte räumlich-zeitliche Kontrolle der Genexpression ermöglichen. All dies ist bei dem einzelligen Symbiont Capsaspora vorhanden. Dies lässt sich aus Schöpfungsperspektive so deuten, dass Capsaspora gar kein Modell für die Evolution der Vielzelligkeit ist, sondern dass es sich um einen degenerierten Organismus handelt, der gerade dabei ist, Information zu verlieren, die er möglicherweise einst für mehrzellige Stadien genutzt hat. Die symbiotische Lebensweise von Capsaspora könnte tatsächlich darauf hindeuten, dass die Evolutionsbiologen die Reihenfolge der Ereignisse verkehrt herum interpretieren. Die Fähigkeit, Aggregate (mit unbekannter Funktion) zu bilden, könnte das letzte Überbleibsel der sich sexuell fortpflanzenden Stadien sein. Ein Relikt aus einer einst guten Schöpfung. Quellen Borger P (2020) Rezension: Der Funke des Lebens, Nick Lane. https://www.wort-und-wissen.org/wp-content/uploads/Rezension_Lane-1.pdf. Ferrer-Bonet M & Ruiz-Trillo I (2017) Quick Guide: Capsaspora owczarzaki. Current Biology 27, R825–R832. https://www.cell.com/current-biology/pdf/S0960-9822(17)30640-1.pdf. Martin WF et al. (2015) Endosymbiotic theories for eukaryote origin. Philos. Trans. R Soc. Lond. B Biol. Sci. 370, 20140330. Ros-Rocher N et al. (2023) Chemical factors induce aggregative multicellularity in a close unicellular relative of animals, Proc. Natl. Acad. Sci. USA 120, e2216668120, https://dx.doi.org/10.1073/pnas.2216668120. Roach A (2023) Earliest animal likely used chemical signaling to evolve into multicellular organism. Phys.org, 25.04.2023, https://phys.org/news/2023-04-earliest-animal-chemical-evolve-multicellular.html. Sebé-Pedrós A et al. (2016) The Dynamic Regulatory Genome of Capsaspora and the Origin of Animal Multicellularity. Cell 165(5):1224-1237. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4877666/. Autor dieser News: Peter Borger Informationen über den Autor
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