22.06.23 Die Sauerstoffkatastrophe: Revolution oder Storytelling?
Nach gängiger Evolutionslehre soll in der «großen Sauerstoffkatastrophe» vor 2,4 Milliarden Jahren die Erdatmosphäre mit Sauerstoff angereichert worden sein. Doch Indizien sind dürftig und die Probleme groß. Viele Dinge, die wir für selbstverständlich halten, erweisen sich bei näherer Betrachtung als überaus staunenswert. Da ist zum Beispiel der Umstand, dass das Universum dank einer äußerst exakt eingestellten Architektur von Naturgesetzen besteht oder die verwunderliche Tatsache, dass dies anhand der Sprache der Mathematik für uns Menschen verstehbar ist. Im Hinblick auf Letzteres sprach der Physik-Nobelpreisträger Eugene Wigner von «einem Geschenk, das wir weder verstehen noch verdienen». Ebenso wenig Verwunderung gibt es bezüglich der Zusammensetzung der Erdatmosphäre. Unzählige Menschen atmen ihr ganzes Leben lang Tag für Tag, ohne sich auch nur einen Moment bewusst zu werden, dass wir dies einer absolut einmaligen, privilegierten Situation unseres Planeten zu verdanken haben: dem hohen Atmosphärenanteil an molekularem Sauerstoff (O2) von knapp 21 Prozent. Das chemische Element Sauerstoff ist im Universum zwar vergleichsweise häufig, doch liegt es nur sehr selten in der molekularen Form vor. Und ausgerechnet auf unserem Planeten haben wir so viel davon. Das Molekül O2 weist einige Besonderheiten auf: Es ist chemisch eher labil und geht leicht Reaktionen mit anderen Molekülen ein. Es würde daher relativ schnell verschwinden, wenn es nicht durch Organismen ständig nachproduziert wird. Aufgrund seiner Eigenschaften ist O2 für Lebewesen beides zugleich: Segen und Fluch – lebensnotwendig und doch ein Gift. Dabei ist nicht O2 selbst giftig, sondern dessen Abbauprodukte in der Zelle, die wegen ihrer hohen chemischen Reaktivität als reaktive Sauerstoffspezies (reactive oxygen species, ROS) bezeichnet werden. ROS gehen leicht chemische Reaktionen mit vielen Proteinen und DNA ein und verändern dadurch deren Struktur und Funktion. Die Belastung von Lebewesen durch ROS wird als «oxidativer Stress» bezeichnet und ist der hauptsächliche Grund dafür, dass Lebewesen altern. Um es bildhaft zu beschreiben: Wir rosten ständig – ob wir rasten oder nicht. Darüber hinaus darf es weder zu wenig noch zu viel Sauerstoff in der Atmosphäre geben. Sinkt der Volumenanteil an O2 unter 17 Prozent, überleben viele Organismen nicht lange. Steigt der Anteil auf 30 Prozent oder mehr, kommt es häufig zu spontanen Waldbränden. Es stellt sich also die naheliegende Frage: Wie ist es dazu gekommen, dass die Erdatmosphäre einen so hohen Gehalt an O2 hat? Die große Sauerstoffkatastrophe Da molekularer Sauerstoff von Organismen (Pflanzen, Cyanobakterien, Kieselalgen) erzeugt wird, liegt es nahe, dass dessen Ursprung mit der Herkunft des Lebens zusammenhängt. Die Standardantwort auf Lebensursprungsfragen in Wissenschaft, Medien und Bildungsinstituten lautet aktuell «Evolution». Aus simplem soll durch natürliche Vorgänge komplexes geworden sein, aus defizitärem vollkommenes. Aus kleinen organischen Molekülen sollen durch chemische Reaktionen Bausteine des Lebens entstanden sein, die sich anschließend zu hochkomplexen Zellen organisierten. Es gibt eine große Vielfalt an untereinander konkurrieren Erklärungsversuchen, wie das geschehen sein soll. Einigkeit besteht lediglich darin, dass der Ursprung des Lebens ausschließlich in natürlichen Prozessen verortet werden kann. O2 stellt dabei jedoch ein schwerwiegendes Problem dar, da es die Entstehung molekularer Bausteine des Lebens wie Proteine, DNA (Erbgutsubstanz), Vitamine, Fette und Zucker wirksam verhindert. Viele organische Moleküle, aus denen die Bausteine des Lebens entstehen könnten, reagieren nämlich unter Abgabe von Elektronen an O2. Dadurch verändern sich ihre Gestalt und chemische Eigenschaften derart, dass sie nicht mehr zu Proteinen, DNA etc. reagieren können. Ebenso neigen aber auch die Bausteine des Lebens selbst zu Elektronenübertragungsreaktionen mit Sauerstoff, sodass sie in einer sauerstoffreichen Atmosphäre nicht lange erhalten bleiben können. Der Glaube an eine Entstehung erster Zellen durch eine Verkettung chemischer Reaktionen (chemische Evolution) setzt daher zwingend voraus, dass die frühe Erdatmosphäre höchstens äußerst geringe Mengen O2 enthielt. Davon waren auch die Pioniere der Lebensursprungsforschung A. I. Oparin und J. B. S. Haldane in den 1920er Jahren überzeugt – ohne ihre Hypothesen experimentell geprüft zu haben. Oparins Werk beeinflusste maßgeblich die berühmt gewordenen Miller’schen «Ursuppen-Experimente» in den 1950er Jahren, die damals eine große Euphorie unter Wissenschaftlern und Journalisten auslösten. Die Entstehung zweier biologisch relevanter Aminosäuren in nennenswerter Menge und einiger weiterer Aminosäuren in Spurenmengen waren ausreichend für eine weltweite Begeisterung in der Wissenschaftler-Community. Dass S. L. Miller dabei ebenso wie Oparin eine sauerstofffreie Erdatmosphäre zu Beginn der Erdgeschichte annahm, weil er die Entstehung erster Organismen durch chemische Evolution einfach voraussetzte, war offenbar kein Hinderungsgrund für die breite Akzeptanz der Hypothese. Miller selbst kündigte nach seinen Versuchen optimistisch an, dass das wohl größte Rätsel der Wissenschaft – die Frage nach dem Ursprung des Lebens – in circa 25 Jahren gelöst werden würde. Gegen Ende seiner Laufbahn gestand er allerdings ein, dass alle Hypothesen zum Ursprung des Lebens nicht überzeugend seien. Miller bezeichnete sie als «Unsinn» oder «chemische Kopfgeburten».1 Von der breiten Öffentlichkeit wurden solche Einsichten aber nicht wahrgenommen und das evolutionstheoretische, als wissenschaftlich bezeichnete Narrativ etablierte sich praktisch kritiklos. Nur wenige wundern sich über die durchweg positive Darstellung der Miller-Experimente. Der Hamburger Professor für Polymerchemie, Hans R. Kricheldorf, äußert dazu eine ansonsten kaum vertretene Position: «Fasst man die […] Kritikpunkte zusammen, bleibt nur die Schlussfolgerung, dass die Versuche von Miller vor allem gezeigt haben, wie eine chemische Evolution von Proteinen nicht stattgefunden haben kann. Es ist schon erstaunlich, dass auch noch in Büchern, die in den letzten 20 Jahren geschrieben wurden, die Miller‘schen Experimente nur in positivem Licht präsentiert werden […]»2 (Hervorhebungen hinzugefügt). Inzwischen halten viele Wissenschaftler es für unkontrovers (besser «gegeben»?), dass vor etwa vier Milliarden Jahren, als die ersten Organismen entstanden sein sollen, eine nahezu sauerstofffreie Atmosphäre den Erdball umschloss. Im Verlauf von ungefähr einer Milliarde Jahren sollen Einzeller entstanden sein, die mithilfe einer angeblich primitiven Form der Photosynthese Licht als Energiequelle nutzten, ohne dabei Sauerstoff zu erzeugen. Durch Evolution sollen dann Photosynthese betreibende Organismen entstanden sein, die Sauerstoff als Abfallprodukt generierten. Diese Kleinstlebewesen werden aktuell mehrheitlich als Cyanobakterien identifiziert. Sie sollen vor ca. 2,4 Milliarden Jahren eine Anreicherung der Atmosphäre mit Sauerstoff bewirkt haben – und folglich ein Massensterben nicht Sauerstoff-resistenter Organismen. Dieser hypothetische Vorgang wird als «große Sauerstoffkatastrophe» oder auf Englisch als «Great Oxygenation Event» bezeichnet. Aus der Perspektive der Evolutionslehre kann die Relevanz dieses angenommenen Ereignisses kaum überschätzt werden. Glaubt man an eine gemeinsame Abstammung aller Lebewesen, dann ist die Entwicklung der Sauerstoff-generierenden Biochemie bedeutend wichtiger als diejenige des Skeletts von Wirbeltieren oder des Vogelflugs. Dementsprechend sparen Autoren wissenschaftlicher Fachartikel nicht an rhetorischen Zuspitzungen, wenn sie auf die Bedeutung der «großen Sauerstoffkatastrophe» zu sprechen kommen. Beispielsweise beschreiben die Biologen Hohmann-Marriott und Blankenship das hypothetische Szenario in einem Artikel wie folgt: «Die Erfindung der sauerstofferzeugenden Photosynthese und der anschließende Anstieg des atmosphärischen Sauerstoffs vor etwa 2,4 Milliarden Jahren haben die energetischen und enzymatischen Grundlagen des Lebens revolutioniert»3 (Hervorhebungen hinzugefügt). Eigentlich fällt die Frage, ob es zu Beginn der Erdgeschichte eine sauerstofffreie Atmosphäre gab und später eine Anreicherung mit Sauerstoff stattfand, stärker in den Zuständigkeitsbereich von Geowissenschaftlern als Chemikern oder Biologen. Doch unter Geologen vor der Zeit von S. L. Miller war die Lehrmeinung, es habe eine große Sauerstoffkatastrophe vor 2,4 Milliarden Jahren gegeben, unbekannt. Erst nach dem Rummel um die Miller-Experimente in den 1950er Jahren gewann diese Sichtweise an Bedeutung. Eine der frühesten Arbeiten zu diesem Thema stammt aus dem Jahr 1965.4 Die Autoren der Arbeit spekulierten, dass der Anstieg der Sauerstoffkonzentration einige Entwicklungssprünge in der Evolution erklären würde und es ermögliche «die Geschichte der Erde aus einer ganz neuen und fortschrittlicheren Perspektive zu betrachten». Indizien? Befunde, die als Indizien für die «größte biologische Revolution» gewertet werden sind eher bescheiden und alles andere als sicher. Fossil erhaltene Mikroorganismen sind sehr selten und erlauben keine sicheren Schlussfolgerungen bezüglich ihrer biochemischen Ausstattung. Daher beruhen Hypothesen zur «Sauerstoffkatastrophe» allesamt auf indirekten Rückschlüssen aus chemischen Markern, das heißt dem Vorkommen bestimmter Mineralien oder dem Verteilungsmuster von Isotopen in Gesteinsschichten. Für einen wichtigen «Zeugen» der Sauerstoffanreicherung der Erdatmosphäre halten viele das Vorkommen von mächtigen Gesteinsschichten mit einem hohen Anteil an dem eisenhaltigen Mineral Hämatit – so genannte präkambrische Bändereisenerze. Es wurde vermutet, dass diese Schichten in der frühen Erdgeschichte durch Reaktion eisenhaltiger Erdkrustenbestandteile mit dem entstehenden Sauerstoff gebildet wurden. Allerdings gibt es auch einige andere Prozesse, die zur Entstehung solcher Gesteinsschichten beitragen können – sogar die Stoffwechselaktivität bestimmter Bakterien. Daher geben einige Wissenschaftler zu, dass es unklar ist, wie Bändereisenerze entstanden sind. Ähnlich verhält es sich auch mit einigen anderen geochemischen Markern. Ihre Interpretation als Hinweise auf eine «Sauerstoffkatastrophe» ist alles andere als zwingend. Nicht selten eilt zudem die Verwendung einer Methode der gründlichen Kenntnis der zugrundeliegenden Mechanismen voraus, wie zwei Wissenschaftler über die Auswertung von Isotopenmustern des Schwefels berichten: «Die Unsicherheiten [der Methode] haben ihre Verwendung als geochemische Marker jedoch nicht verhindert …»5 Probleme Der spekulative Charakter dieser Forschungsrichtung ist deutlich erkennbar an den aufgestellten Modellen für den Verlauf des Atmosphärenumschwungs. Einige sprechen von mehreren Sauerstoff-Schüben, die der endgültigen allmählichen Anreicherung im Zuge von etwa einer Milliarde Jahre vorangegangen sein sollen. Andere befürworten dagegen eine schnelle Änderung der Zusammensetzung der Erdatmosphäre im Verlauf von 1-10 Millionen Jahren. Es gibt eine Bandbreite an weiteren Schätzungen, die zwischen den zwei genannten Dauern des Übergangs liegen. Auch hier kann gesagt werden, dass die Einigkeit unter vielen Wissenschaftlern lediglich darin besteht, dass es einen solchen Übergang gegeben haben soll. Ein weiteres schwerwiegendes Problem ist die notwendige, aber unhaltbare Annahme, die Photosynthese sei durch Evolution entstanden. Notwendig ist diese Annahme, da ohne Photosynthese kein molekularer Sauerstoff beständig nachgebildet werden kann. Die molekularen Apparate, welche die Photosynthese ermöglichen, sind jedoch derart komplex in ihrem Aufbau und effizient in ihrer Funktionsweise, dass eine Entstehung durch evolutionäres «trial and error» völlig absurd erscheint. Jüngste Untersuchungen zeigen, dass der Energietransfer von Photonen (Lichtteilchen) auf Elektronen in den Photosyntheseapparaten mit einer Effizienz von 99 Prozent einhergeht.6 Von solchen Konstruktionen können Ingenieure nur träumen. Darüber hinaus versetzt die Gesamtarchitektur der Photosyntheseapparate Wissenschaftler immer wieder in tiefes Staunen. Winzige Abweichungen um einige Angström (ein Angström entspricht dem zehnmillionsten Teil eines Millimeters) von der räumlichen Anordnung der Bauteile würden das System funktionsuntüchtig machen. Das liegt daran, dass bestimmte Elektronenübertragungen (Quantentunnel-Prozesse) nur auf sehr kurzen Distanzen funktionieren. Außerdem ist der Sauerstoff, wie schon erwähnt, ein Zellgift und die Ursache für so genannten «oxidativen Stress». Versuche an E. coli Bakterien haben gezeigt, dass die Hälfte aller wichtigen Organe in nur 20 Minuten beschädigt wird. Daher besitzen alle Lebewesen zugleich mehrere hochkomplexe Abwehr- und Reparaturmechanismen gegen «oxidativen Stress». Wenn also die ersten Kleinstlebewesen Sauerstoff-erzeugende Photosyntheseapparate generiert haben sollen, müssten sie zuvor bereits über die entsprechenden biomolekularen Schutzvorrichtungen verfügt haben. Wenn es aber vorher keinen molekularen Sauerstoff gab, dürfte der Grund fehlen, solche Schutzvorrichtungen zu evolvieren. Unsere sauerstoffreiche Atmosphäre ist nach bisherigem Wissen im Universum einmalig. Die Erklärung ihrer Entstehung durch Evolution erscheint unhaltbar. Vielmehr bezeugen die zutiefst faszinierenden Zusammenhänge und intelligent angelegten Systeme sowohl in der Geosphäre als auch in den Lebewesen das Werk eines genialen Schöpfers. Literatur 1. J. Horgan (2000), An den Grenzen des Wissens – Siegeszug und Dilemma der Naturwissenschaften, Fischer Taschenbuch. 2. H. R. Kricheldorf (2019) Leben durch chemische Evolution? Eine kritische Bestandsaufnahme von Experimenten und Hypothesen. Springer Spektrum, Berlin. 3. M. F. Hohmann-Marriot & R. E. Blankenship (2011) Evolution of Photosynthesis. Annu Rev. Plant Biol. 62, 515–548. 4. L. V. Berkner & L. C. Marshall (1965), On the Origin and Rise of oxygen concentration of Earth‘s atmosphere, J. Atmospheric Sciences, 22, 225–261. 5. N. Dauphas & E. A. Schauble (2016) Mass-independent effects, and isotopic anomalies. Annu. Rev. Earth. Planet. Sci. 44, 709–783. 6. R. Croce & H. van Amerongen (2020) Light harvesting in oxygenic photosynthesis: structural biology meets spectroscopy. Science 369, doi:10.1126/science.aay2058. Dieser Artikel ist unter ähnlicher Überschrift in der Zeitschrift factum 22/6 (https://factum-magazin.ch/) erschienen und wurde uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Autor dieser News: Boris Schmidtgall Informationen über den Autor
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