12.10.23 Repetitive DNA-Sequenzen steuern die Ausprägung von Genen
Erneut wurde eine wichtige bisher unbekannte Funktion der „Junk-DNA“ aufgeklärt Kurze Tandemwiederholungen (KTW, engl. Short Tandem Repeats) sind im gesamten Genom (Erbgut) vorhanden, entweder in codierenden Sequenzen, oder außerhalb und zwischen den Genen. Ihre Funktionen waren lange Zeit unklar, und sie wurden von Evolutionsbiologen oft als „Junk-DNA“ katalogisiert, d. h. als Sequenzen ohne biologische Funktion. Zunehmend werden sie jedoch durch Genetiker als regulatorische Elemente des Genoms erkannt. Eine neue in Science veröffentlichte Studie zeigt nun, dass 5 % des Genoms aus solchen KTW aufgebaut sind und wichtige Funktionen bei der Expression (Nutzung) von genetischer Information haben, insbesondere von proteincodierenden Genen. Genetische Elemente des Genoms Das Genom eines Organismus ist die Gesamtheit der in der DNA gespeicherten genetischen Information, die in einer Zelle vorhanden ist. In der Geschichte der Erforschung der DNA wurden zuerst proteincodierende Sequenzen nachgewiesen (kurz „Proteingene“), die sozusagen für die Werkzeuge der Zellen codieren und etwa 20 Prozent der gesamten DNA ausmachen (einschließlich der Introns und anderer regulatorischer Sequenzen, die für einen funktionsgerechten Aufbau der codierten Werkzeuge benötigt werden). Darüber hinaus enthält das Genom Sequenzen, die auf den ersten Blick keine Funktion zu haben scheinen, weil sich darin kurze Nukleotidabfolgen in Tausenden von Kopien – manchmal Zehntausenden – wiederholen. Diese repetitiven Elemente sind als „long interspersed nuclear elements“ (LINE; 21% des menschlichen Genoms), endogene Retroviren (ERV; 8% des Genoms) und Alu-Sequenzen bekannt. Alu-Sequenzen werden zu den „short interspersed nuclear elements“ (SINE; etwa 11% des Genoms) gerechnet. Dabei handelt es sich um kurze DNA-Abschnitte, die ihren Namen (Alu-Sequenzen) ursprünglich durch die Wirkung des Restriktionsenzyms von Arthrobacter luteus (Alu)* erhielten, das gezielt nur diese Sequenzen schneidet.* Zusammen machen diese Elemente fast die Hälfte des gesamten menschlichen Genoms aus (Borger 2018). Diese repetitiven Sequenzen wurden lange Zeit als funktionslose Überbleibsel des Evolutionsprozesses betrachtet (z. B. als Überbleibsel von uralten im Genom integrierten Viren) und als „egoistische DNA“ oder „Junk-DNA“ bezeichnet, da damals ihre einzige bekannte Funktion zunächst nur die Selbstreproduktion war. Zunehmend wurde jedoch erkannt, dass es sich um regulatorische Sequenzen für die Nutzung von Genen (Genexpression) und die Induktion von Variation handelt (Borger 2018; 2023). Eine vierte Klasse von repetitiven genetischen Elementen sind die sog. „short tandem repeats“ (kurze Tandemwiederholungen; KTW). Auch bekannt als „Mikrosatelliten“ oder „einfache Sequenzwiederholungen“ handelt es sich dabei um DNA-Elemente, die aus einer sehr kurzen sich wiederholenden Einheit von 1 bis 6 Nukleotiden (DNA-Buchstaben) bestehen. Oft haben die KTW-Sequenzen aber auch Längen von bis zu 100 Nukleotiden und sie sind bei Prokaryoten und Eukaryoten, einschließlich des Menschen, weit verbreitet. Das menschliche Genom besteht zu etwa 5 % aus diesen KTW-Elementen. Sie sind im gesamten Genom zu finden – sogar in den codierenden Regionen von Proteingenen, wo sie für längere Aminosäureketten mit denselben oder nur zwei Aminosäuren codieren. Da DNA-Wiederholungen einen geringen Informationsgehalt haben, wurden sie von Evolutionsbiologen lange Zeit als funktionslos betrachtet. In einem kürzlich erschienenen Artikel in der Wissenschaftszeitschrift Science zeigen Molekulargenetiker nun, dass KTW als Andockstellen für Proteine dienen, die die Genexpression steuern (Horton 2023, Kuhlman 2023). Kurze Tandemwiederholungen (KTW) als genetische Schalter Zur Herstellung von Proteinen wird die Information eines Gens in ein Botenmolekül (mRNA) umgeschrieben. Dieser Prozess wird von Transkriptionsfaktoren (TF) durchgeführt; das sind Proteine, die an DNA-Sequenzen im Genom binden. Im Laufe der Jahre wurden Hunderttausende solcher „Andockstellen“ identifiziert. Dennoch binden viele TF an DNA-Abschnitte, denen eine solche Andockstellen fehlt, während andere DNA-Abschnitte mit solchen Andockstellen von TF unbesetzt bleiben. Dies deutet darauf hin, dass zusätzliche DNA-Sequenzen eine Rolle bei der Steigerung bzw. Regulation der Genexpression spielen. Die Autoren des Science-Artikels zeigen, dass die KTW, die oft in so genannten Enhancern (Transkriptionsverstärker) angereichert sind, diese Rolle übernehmen (Kuhlman 2023, Horton 2023). Die Forscher untersuchten die Bindungsstärke von zwei grundlegenden TF (Pho4 und MAX), die an eine CACGTG-DNA-Sequenz („Gene-switch“) binden, und bewerteten die Auswirkungen mehrerer verschiedener Arten von benachbarten KTW auf ihre Bindungsstärke an die DNA und ihre Aktivität. Sie fanden eine bis zu 70-fach erhöhte Bindung für 609 verschiedene TF-DNA-Kombinationen in Gegenwart verschiedener KTW. Weitere Analysen ergaben, dass etwa 90 % der untersuchten TF bevorzugt mindestens einen Typ von KTW binden. Da KTW in hohem Maße veränderbar sind, schlagen sie vor, sie als eine „leicht evolvierbare Klasse“ von regulatorischen DNA-Elementen zu betrachten. Damit ist gemeint, dass durch die Veränderung der Länge der KTW-Sequenzen leicht neue Genexpressionsmuster erzeugt werden können; d. h. die Expression von Genen kann dadurch dirigiert werden. Mit anderen Worten: KTW erzeugen Variation und sollten daher als Variation-induzierende genetische Elemente bezeichnet werden (Borger 2018; 2023). Da bevorzugte KTW nicht unbedingt bekannten DNA-Bindungsmustern ähneln müssen, vermuten die Forscher, dass es einen Mechanismus geben könnte, durch den ähnliche TF in verschiedenen regulatorischen Regionen rekrutiert werden können, damit sie unterschiedliche Gene regulieren. Sie schlagen vor, dass KTW die Muster beherbergen und als zusätzliche „Gen-Schalter“ dienen, um die lokale TF-Konzentration und die Bindungsreaktionen abzustimmen, und so die Genexpression abstimmen (Horton 2023). Einmal mehr zeigt sich, dass das Genom viel komplexer ist als bisher angenommen und dass scheinbar nutzlose DNA-Sequenzen Funktionen – beispielsweise genregulatorische – besitzen. Fazit Mit dem heutigen Wissen muss man eine Zelle als einen Nanocomputer betrachten. Das Genom der Zelle erweist sich als ein informationstragendes und -verarbeitendes System, das eine begrenzte Anzahl von Informationssequenzen enthält, die als proteincodierende Gene (also für die zellulären Werkzeuge) codieren, sowie eine große Zahl von regulatorischen Informationssequenzen, die helfen, dass die „Werkzeuge“ in den passenden Mengen zur richtigen Zeit exprimiert werden. Einige Molekularbiologen haben das Genom als proteincodierende Inseln in einem Ozean von regulatorischen Schaltern bezeichnet. Andere beschreiben Genome als RNA-Computer mit Protein-Output. Zellen sind programmiert. In der Biologie werden zunehmend Ausdrucksweisen verwendet, die auch in der Informatik und Kybernetik zu finden sind. Dieser Sprachgebrauch verdeutlicht, dass in den Biowissenschaften zunehmend auch der Aspekt der Informationsverarbeitung Raum gewinnt. Bauen sich Computer von alleine? Werden Computer durch zufällige (molekulare) Prozesse programmiert? Selbst die einfachste Zelle ist noch mehr als ein gigantischer Computer, der Eingangssignale aus seiner Umgebung aufnimmt und sie integriert, um eine angemessene biologische Leistung hervorzurufen. Wir wissen, dass Computer und Computerprogramme nur durch Intelligenz entworfen werden können. Dies gilt für alle Informationssysteme, auch für diejenigen, die in den Zellen vorhanden sind. Quellen Borger P (2018) Darwin Revisited – Or how to understand biology in the 21st century. Scholars Press. pp 142–163. Borger P (2023) Über den Entwurf des Lebens. Mobile genetische Elemente. Studium Integrale J. 30, 22–30. Horton CA et al. (2023) Short tandem repeats bind transcription factors to tune eukaryotic gene expression. Science 381, eadd1250. https://www.science.org/doi/full/10.1126/science.add1250?intcmp=trendmd-sci Kuhlman TE (2023) Repetitive DNA regulates gene expression. Science 381, 1289–1290. (editorial) https://www.science.org/doi/full/10.1126/science.adk2055 Autor dieser News: Peter Borger Informationen über den Autor
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