19.12.23 Multifunktionale Gene: Transposition von „parasitärer DNA“ durch DNA-Reparatur-Enzym
Ein großer Teil (etwa 30%) des menschlichen Erbguts (Genom) besteht aus sogenannten Retrotransposons. Das sind DNA-Sequenzen, die sich im Genom über einen Copy/Paste-Mechanismus verbreiten können. Sie kopieren sich selbst über ein RNA-Molekül, das danach in DNA umgewandelt und an anderer Stelle im Genom eingefügt wird. Dieser Copy/Paste Vorgang verändert also den Kontext der DNA-Information und kann somit schnell Variationen hervorbringen. Eine neue Studie zeigt unerwarteterweise, dass dabei ein mit der DNA-Reparatur verbundener Mechanismus genutzt wird. Mobile genetische Elemente sind DNA-Sequenzen, die im Genom umgelagert werden und somit an eine andere Stelle im Erbgut springen können und in den Genomen aller untersuchten Organismen vorkommen. In den komplexeren Eukaryonten (Organismen mit kernhaltigen Zellen) sind mehrere Klassen mobiler genetischer Elemente nachgewiesen worden, die heute als transponierbare und transponierte Elemente (kurz: TE) bezeichnet werden. Es gibt auch bei Bakterien DNA-Transposons wie beispielsweise die IS-Elemente. Es handelt sich dabei um kurze DNA-Abschnitte, die für das Enzym Transposase codieren, welches die Transposition (Umlagerung) bewirkt. Dies geschieht in erster Linie durch einen „Cut-Paste“-Mechanismus, der zu Änderungen in der Struktur und der Anordnung der Information im Genom führt (Borger 2023). Es gibt jedoch auch komplexere Retrotransposons wie z. B. long interspersed nuclear elements (kurz: LINE) oder endogene Retroviren (kurz: ERV). Sie verfügen über mehr Gene, die sie für ihren Copy/Paste-Mechanismus der genomischen Transposition benötigen. Nach gängiger Lehrmeinung handelt es sich bei den Retrotransposons um Überbleibsel alter Invasionen von RNA-Viren, die in das Genom eingedrungen und dort verblieben sind. Früher dachte man, dass sie die Maschinerie der „Wirtzelle“ nutzen, um ihr Ziel zu erreichen, nämlich einfach nur „Replikation um der Replikation willen“ (gemäß Hypothese vom egoistischen Genen, die mittlerweile als widerlegt gilt). Je genauer die Retrotransposons jedoch untersucht wurden, desto mehr – oft unerwartete – lebenswichtige Funktionen sind gefunden worden. Heute ist klar, dass sie ein integraler Bestandteil des Genoms sind. Da in den Lebewesen nichts dem Zufall überlassen ist und die Lebensprozesse durch ausgeklügelte molekulare Mechanismen reguliert und kontrolliert werden, kann man erwarten, dass dies bei mobilen genetischen Elementen auch der Fall ist. Ein unkontrolliertes Herumspringen der Retrotransposons würde nur zur Beschädigung sensibler Informationen in der DNA führen. Es ist also zu erwarten, dass ihre Aktivität im Genom streng reguliert und kontrolliert wird. Und genau so ist es auch. Kürzlich wurde in der Zeitschrift Nature eine Studie veröffentlicht, worin ein Team der Duke University (USA) einen bekannten DNA-Reparaturmechanismus beschreibt – den so genannten „alt-EJ repair pathway“, der für die kontrollierte und regulierte Vermehrung dieser Retrotransposons verantwortlich ist. Nach der Transkription (Umschreibung) in ein einzelsträngiges RNA-Molekül treten die gleichen Enzyme wie im „alt-EJ repair pathway“ in Aktion, um die Retrotransposons zu einer ringförmigen Struktur zu schließen und dadurch ein passendes doppelsträngiges, zirkuläres DNA-Molekül zu erzeugen. Es wird angenommen, dass diese ringförmige Struktur für die Integration der TE in die DNA notwendig ist. Die Forscher führten eine Reihe von Experimenten durch, bei denen sie die DNA-Reparaturmechanismen der Zelle nacheinander ausschalteten, um herauszufinden, wie und wo die DNA-Ringe gebildet werden. Sie fanden heraus, dass ein bislang wenig untersuchter DNA-Reparaturmechanismus, der so genannte alternative end-joining DNA repair oder kurz alt-EJ, der doppelsträngige DNA-Brüche repariert, auch dazu verwendet wurde, um die Enden des einzelsträngigen Transkriptes zu verbinden und dann mit Hilfe der DNA-Synthase einen passenden Doppelstrang zu erzeugen (Ellis 2023). Diese neue Erkenntnis stellt einen 40 Jahre alten Wissensstand in Frage, wonach diese kreisförmigen DNA-Moleküle, die durch die Neukombination der beiden Enden entstehen, lediglich eine Sackgasse, ein Nebenprodukt der gescheiterten Replikation sind. Die Autoren vermuten, dass diese Ringform für eine ordentliche DNA-Integration notwendig ist, was sie in zukünftigen Forschungen untersuchen wollen (Yang et al. 2023). Nicht dem blinden Zufall überlassen Lange Zeit glaubte man, dass die erwähnten mobilen Elemente sich lediglich als Parasiten im Genom tummeln und dass ihre Umlagerung ein zufälliger Prozess sei, bei dem auch Gene der Zelle gekapert würden. Das „Kapern von Genen der Wirtszelle“ impliziert, dass wir es mit Eindringlingen in das Genom zu tun haben. Dies ist in der Tat immer noch die in den Medien verbreitete Mehrheitsmeinung. Was wir jedoch beobachten, ist ein kontrollierter und regulierter Copy/Paste-Mechanismus von genetischen Elementen, die vollständig in das Genom integriert sind. Ihre Aktivität, die zu genetischer Variation führt, ist nicht dem Zufall überlassen. Immer mehr Biologen sind deswegen der Ansicht, dass Retrotransposons für einen Großteil der Variation und Innovation in den Genen verantwortlich seien und daher eine wichtige Triebkraft der Evolution darstellen. Sie werden kopiert und in verschiedene Teile des Genoms von Pflanzen und Tieren eingefügt. Dadurch üben sie Einfluss darauf aus, wie die Zelle ihre Gene nutzt. Zhao Zhang, Assistenzprofessor für Pharmakologie und Krebsbiologie der Duke Universität, kommentierte: „Ich vermute, diese Elemente sind die Quelle der Genomdynamik, für die Evolution der Tiere und sogar für unser tägliches Leben, aber wir sind noch dabei, ihre Funktion zu verstehen“ (Ellis 2023). Die Studie zeigt zwei Dinge. Erstens deutet sie darauf hin, dass die Generierung von Variation eine eingebaute Eigenschaft von Genomen ist. Organismen müssen nicht lange darauf warten, dass zufällig selektierbare Mutationen auftreten, sondern sie verfügen über einen eingebauten genetischen Mechanismus, der nützliche Variationen erzeugt (Borger 2023). Zweitens zeigt sie, dass die Vermehrung von Retrotransposons von den gleichen Genen gesteuert wird, die auch für DNA-Reparaturprozesse zuständig sind. Es ist bekannt, dass viele Proteine bzw. Gene mehrere Funktionen haben (Van Peppel 2005). Diese multifunktionalen Gene, die auch als pleiotrope Gene bezeichnet werden, sind weit verbreitet und kommen auch bei DNA-Reparaturprozessen häufig vor (Dueva 2020). Pleiotrope Gene werden erkennbar, wenn Mutationen in einem einzigen Gen mehrere Folgen für den Phänotyp (das Erscheinungsbild) haben. Eine solche Pleiotropie ist für mehrere menschliche Krankheitsgene gut dokumentiert, wurde aber bisher nicht systematisch untersucht (Van Peppel 2005). Die Ergebnisse von Yang et al. (2023) sind somit ein Beispiel für genetische Pleiotropie und ein weiterer Beweis dafür, dass ein Gen mehrere unterschiedliche Funktionen haben kann. Die Vorstellung, dass Retrotransposons das alt-EJ-Reparatursystem „kapern“, ist im Rahmen der evolutionären Interpretation lediglich eine Vermutung – schließlich handelt es sich nach dieser Vorstellung um Parasiten, die vor langer Zeit in das Genom eingedrungen sind. Dennoch ist diese Interpretation nicht zwingend und lediglich eine nachträgliche Erklärung. Außerdem könnte das „Kapern“ gerade bei multifunktionalen Genen zu vielen Defekten führen. Die Tatsache, dass Gene mehrere unterschiedliche Funktionen haben, und die Tatsache, dass die Vermehrung von Retrotransposons zur Herbeiführung von Variationen streng reguliert ist, weist auf Planung und Verwirklichung durch einen intelligenten Schöpfer hin. Quellen Borger P (2022) Über den Entwurf des Lebens: Mobile genetische Elemente. Genetische Quellen der Anpassungsfähigkeit. Stud. Integr. J. 30, 23-30. Ellis D (2023) Retrotransposons hijack cell's dna repair machinery to form circular DNA. News Medical Life Science. 12 Juli 2023. https://www.news-medical.net/news/20230712/Retrotransposons-hijack-cells-dna-repair-machinery-to-form-circular-DNA.aspx Yang F, Su W, Chung OW, Tracy L, Wang L, Ramsden DA & Zhao Zhang ZZ (2023) Retrotransposons hijack alt-EJ for DNA replication and eccDNA biogenesis. Nature 620, 218–225, doi: 10.1038/s41586-023-06327-7 Dueva R & George I (2020) Replication protein A: a multifunctional protein with roles in DNA replication, repair and beyond. NAR Cancer. Sep 25;2(3):zcaa022. doi: 10.1093/narcan/zcaa022. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34316690/ Van de Peppel J & Holstege FCP (2005) Multifunctional genes. Molecular Systems Biology 1:2005.0003. https://www.embopress.org/doi/full/10.1038/msb4100006 Autor dieser News: Peter Borger Informationen über den Autor
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