|
05.03.24 Regulationsgene für Beinentwicklung auch in der Entwicklung des Kopffüßer-Auges
Im technischen Bereich ist die Verwendung gleichartiger Module in sehr verschiedenen Konstruktionen ein Hinweis auf gut durchdachte Planung. Überraschenderweise wurden Mehrfachverwendungen häufig auch im Erbgut vieler Lebewesen entdeckt. Ein überraschendes und erstaunliches Beispiel dafür ist die Zweitverwendung von Regulationsgenen, die in der Formung ihrer Gliedmaßen und derer von anderen Bilateria (Zweiseitentiere) im Einsatz sind, in der Entwicklung der Augenlinse von Kopffüßern. Dass eine solche Nutzung in einem ganz anderen Kontext auf evolutiven Wegen etabliert werden kann, ist ausgesprochen unwahrscheinlich. Einleitung und Hintergrund Zu einer Zeit, als die molekularen Grundlagen der Organe der Lebewesen noch weitgehend unbekannt waren, hätte vermutlich jeder Biologie angenommen, dass es eine deutliche Entsprechung zwischen Organen und zugrundeliegenden Genen gibt. Das heißt: Die Erwartung war, dass die ontogenetische (=die individuelle Entwicklung betreffende) Ausbildung homologer (=baugleicher) Organe von homologen Genen gesteuert wird (also von solchen mit ähnlicher Sequenz), und dass verschiedene Organe in ihrer Entwicklung von unterschiedlichen Genen gesteuert werden. Kurz: Morphologie und Moleküle sollten zusammenpassen. Das heißt: Homologen (=im Bauplan ähnlichen) Organen verschiedener Arten sollten auch homologe Entwicklungsgene zugrunde liegen. Umgekehrt ist zu erwarten, dass bei der Entwicklung nicht-homologer Organe verschiedene, nicht-homologe Gene genutzt werden und zwar sowohl bei nicht-homologen Organen von Arten verschiedener Taxa (=Gruppen von Lebewesen im System der Tiere oder Pflanzen)(wie z. B. Insektenbeinen mit Außenskelett einerseits und Gliedmaßen mit Innenskelett von Vierbeinern andererseits) als auch bei verschiedenen Organen derselben Art (wie Augen, Ohren, Gehirn oder innere Organe). Kaum eine Erwartung an zukünftige Forschungsergebnisse wurde durch die ermittelten Daten aus der Entwicklungsgenetik gründlicher widerlegt als die Erwartung der Entsprechung von Morphologie und Genetik. Man kann mit Fug und Recht von sensationellen Entdeckungen in der Biologie sprechen, als sich herausstellte, dass sehr unterschiedlich gebaute Organe durch sehr ähnliche Entwicklungsgene in ihrer Entwicklung gesteuert werden. Wäre hätte auch gedacht, dass zum Beispiel dieselben Regulationsgene bei ganz verschiedenen Augentypen wie Linsenauge und Komplexauge vorkommen? Oder dass dasselbe Regulationsgen distalless (dll) bei der ontogenetischen* Ausprägung der körperfernen (distalen) Abschnitte ganz verschiedener Tierstämme im Einsatz sind: sowohl bei den Gliedmaßen der Wirbeltiere als auch bei den Beinen von Gliederfüßern, den Röhrenfüßchen der Stachelhäuter, den Ampullae[1] und Siphons der Manteltiere (Tunicata), den Parapodien der Ringelwürmer und den Lobopodien der Stummelfüßer (Onychophora). Oder wer wäre auf den Gedanken gekommen, dass dll auch bei der Ausprägung von Augenflecken bei Schmetterlingen genutzt wird? Oder dass verschiedene Stoffwechselproteine in dichter Verpackung als Linsencrystalline in Augenlinsen Verwendung finden? Beispiele dieser Art sind mittlerweile ungezählt und die Biologen haben sich längst an die neue Situation gewöhnt. Auf den ersten Blick könnte man auf den Gedanken kommen, dass diese Erkenntnisse ein Indiz für gemeinsame Abstammung darstellen. Diese gemeinsamen Regulationsgene könnten doch ein gemeinsames Erbe sein, das sehr verschiedene Tierstämme vom letzten gemeinsamen Vorfahren übernommen haben. Man spricht von „tiefen Homologien“. Doch es gibt ein Problem: Aufgrund der sehr großen Unterschiede dieser Baupläne konnten diese gemeinsamen Regulationsgene im hypothetischen gemeinsamen Vorfahren nicht dieselbe Aufgabe gehabt haben, die sie heute haben. Denn dieser Vorfahr konnte weder Extremitäten noch andere komplexe Organe wie z.B. komplexere Augen besessen haben. Auf der morphologischen Ebene ist beispielsweise unklar, wie die gemeinsamen Vorstadien der unterschiedlichen o. g. Körperanhänge ausgesehen haben sollen, die bei heutigen Tieren unter der Regie von dll stehen. Sie müssten jedenfalls sehr einfach gewesen sein oder ganz gefehlt haben. So schreiben Lemons et al. (2010, 359) zur Situation bei den Gliedmaßen: „Die Fortsätze der verschiedenen heute lebenden Gruppen der Zweiseitentiere haben sich mit ziemlicher Sicherheit unabhängig voneinander in mehreren Linien entwickelt, nachdem sie von einem gemeinsamen Vorfahren ohne Fortsätze abgezweigt waren.“ Und Neal et al. (2022) stellen fest, dass die aktuellen Fossilfunde und das Vorhandensein von Taxa ohne Gliedmaßen nicht für einen gemeinsamen Vorfahren mit Körperanhängen spreche. Daher bleibe die ursprüngliche Funktion der gemeinsamen genetischen Grundlagen unklar. Obwohl die einzelnen Anhänge morphologisch (=den Körperbauplan betreffend) nicht homolog sind, könnte beim mutmaßlichen gemeinsamen Vorfahren ein Auswuchsprogramm mit unbekannter Funktion vorhanden gewesen sein. Wie aber wurde dieses ursprüngliche Programm zu einem Auswuchsprogramm? Um eine längere Geschichte kurz zu machen: Die Antwort wird darin gesehen, dass Regulationsgene im Laufe der mutmaßlichen Evolution immer wieder in neuen Zusammenhängen genutzt worden sein sollen. Man spricht von „Wiederverwendung“, „Umfunktionierung“, „Mehrfachnutzung“, „Neuprogrammierung“, „Rekrutierung“ und von „Kooption“. Die Vorstellung, dass Evolution vielfach durch Kooptionen voranschreitet, stützt sich vor allem auf vergleichende Studien. Gemeint ist mit „Kooption“ eine zusätzliche Verwendung in einem neuen Kontext. Die Tatsache, dass viele Gene bzw. Proteine in unterschiedlichen Zusammenhängen genutzt werden, wird als Indiz dafür gewertet, dass es evolutive Kooptionsvorgänge gegeben hat. Diese Situation ist derart häufig gegeben, dass das Konzept evolutionärer Kooptionen heutzutage als selbstverständlicher Bestandteil von Evolutionstheorien betrachtet wird. Die Alternative wäre eine vielfache konvergente Entstehung dieser Regulationsgene, und das erscheint auch Evolutionstheoretikern als viel zu unwahrscheinlich. Allerdings begründen vergleichend-biologische Daten in keiner Weise evolutionäre Mechanismen – d. h. bestehenden Ähnlichkeiten an sich geben keinen Hinweis darauf, wie diese evolutionär entstanden sein könnten.Bis auf sehr unbedeutende Vorgänge sind Kooptionen experimentell nicht nachgewiesen (vgl. Rebeiz et al. 2011; kritische Besprechung bei Junker 2012) und theoretisch unwahrscheinlich. Das gilt besonders dann, wenn nicht nur einzelne neue Regulationsgene kooptiert worden sein müssten, sondern ganze Komplexe von Genen oder Signalübertragungswegen. Man gewinnt den Eindruck, als würden Evolutionstheoretiker ein ganz selbstverständlich funktionierendes plug and play annehmen. Doch das kann nur gelingen, wenn vorgedacht und entsprechend vorkonstruiert wurde, was in einem evolutionären Kontext bekanntlich nicht vorausgesetzt werden kann. Vielmehr wären für eine Kooption passend eingerichtete Konstellationen ein klares Indiz für einen Schöpfer – falls Kooptionen tatsächlich erfolgen würden. Bein-Gene im Auge In einer neueren Arbeit berichten Neal et al. (2022) von einem eindrucksvollen Beispiel einer mutmaßlichen Kooption bei der ontogenetischen Entwicklung des Linsenauges bei Kopffüßern (Cephalopoden). Kopffüßer besitzen ein hochentwickeltes visuelles System mit einer becherförmigen Netzhaut und einer Linse im vorderen Teil. Bisher war über die molekulargenetische Entwicklung der Linse bei Cephalopoden fast nichts bekannt. Die Forscher liefern nun erstmals eine eingehende molekulare Beschreibung der Linsenentwicklung beim Tintenfisch Doryteuthis pealeii. Sie wiesen nach, dass bei der Entwicklung der Augenlinse ein Netzwerk von Genen genutzt wird, das bei der Entwicklung von Gliedmaßen von anderen Tieren eine entscheidende Rolle spielt, obwohl es sich in funktioneller Hinsicht in keiner Weise um verwandte Strukturen handelt.[2] Schließlich ist die Augenlinse ein völlig anderes Organ. Neal et al. zeigten, dass die Transkriptionsfaktoren SP6-9/sp1, Dlx/dll, Pbx/exd, Meis/hth und ein Prdl-Homolog in Doryteuthis pealeii radial (=von innen nach außen) exprimiert (=abgelesen und in Proteine übersetzt) werden, ähnlich der Expression, die für die Entwicklung der Gliedmaßen bei der Taufliege Drosophila erforderlich ist. Dieses Gen-Netzwerk – also nicht nur ein einzelnes Gen – sei somit durch eine Kooption für die Entwicklung der Linse zusätzlich verwendet worden. Die Forscher untersuchten außerdem die Rolle der Wnt-Signalübertragung in der Linse von Kopffüßern. Wnt ist ein Regulator in der Entwicklung der Gliedmaßen von Drosophila, und es stellte sich heraus, dass in der Entwicklung des Tintenfischauges die regulatorische Beziehung umgekehrt ist: die Wnt-Signalübertragung führt zum Verlust der Linse. Die Autoren schließen aus diesen Befunden, dass die Unterschiede der Regulation durch die Wnt-Signalübertragung bei den Gliedmaßen einerseits und bei der Augenlinse der Kopffüßer andererseits nahe lege, dass eine Duplikation von SP6-9 ein Vermittler der Kooption des Gliedmaßenmusterungsprogramms im vorderen Segment sein könnte. Sie fassen zusammen: „Unsere Studie deutet also darauf hin, dass dieses Programm eine universellere Entwicklungsfunktion bei der radialen Musterung erfüllen könnte, und unterstreicht, wie kanonische genetische Programme in neuartigen Strukturen umgewidmet werden.“ Das Gen-Netzwerk, das gleichermaßen bei der Bildung der Gliedmaßen wie bei der Bildung der Augenlinse im Einsatz ist, habe also eine umfassendere Funktion für alle Arten von Mustern, die ein konzentrisches, kreisförmiges Motiv erfordern. Diskussion Was folgt aus dem Befund, dass gleiche Regulationsgene in sehr verschiedenen Organen (Gliedmaßen, Augenlinse) genutzt werden, für die Frage, wie diese Regulationsgene in einen neuen Zusammenhang eingefügt wurden? Das Einfügen eines ganzen Regulationskomplexes in einen völlig neuen funktionellen Zusammenhang ist hochgradig anspruchsvoll und ohne vorbereiteten Kontext – Stichwort plug and play – daher extrem unwahrscheinlich. Die für eine erfolgreiche Kooption erforderlichen Mechanismen sind zwar nicht das Thema von Neal et al. (2022), aber wenn davon ausgegangen wird, dass es eine evolutionäre Kooption gab, ist die Mechanismenfrage unausweichlich. Es ist schon erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit ein vergleichend-biologischer Befund anscheinend als ausreichend dafür angesehen wird, dass ein postulierter evolutionärer Mechanismus auch gegeben ist. Bei der Beschreibung der vermuteten Kooptionsvorgänge wird häufig Gebrauch von teleologischen (zielgerichteten) Begriffen gemacht, obwohl diese für ungesteuerte evolutionäre Abläufe ungeeignet sind. Die Autoren in der Originalarbeit sind diesbezüglich zwar zurückhaltend, aber auch eine Formulierung wie „verwendet für einen neuen Zweck“ („repurposed“) ist nur in einem teleologischen Rahmen sinnvoll. Die Wissenschaftspresse ist hier ziemlich unbekümmert: „Dies ist auch ein innovatives Beispiel dafür, wie verschiedene Tierstämme die genetischen Werkzeuge geschickt nutzen und sie anpassen können, um überraschende evolutionäre Leistungen zu vollbringen.“ Die Tintenfische mussten „eine Linse von Grund auf neu entwickeln, um gut sehen zu können. Diese Arbeit zeigt, dass man die Werkzeuge, die man hat, für neue Zwecke nutzen muss“ (https://www.techexplorist.com/network-genes-essential-squid-eye-development/43945/). Hier wird eine Zweckorientierung zur Triebfeder. Dies kann als Indiz dafür gewertet werden, dass eine Schöpfungsperspektive sinnvoll ist. Denn nur ein Schöpfer kann Zwecke verfolgen. Die Vorstellung, es habe immer wieder Kooptionen gegeben, z. T. sogar konvergent (also mehrfach unabhängig die gleiche Kooption) lässt sich am besten dadurch verstehen, dass tatsächlich ein Schöpfer sich tatsächlich frei gleichartiger genetischer Module bedient hat. Anmerkungen [1] periphere fingerartige Fortsätze des Blutgefäßsystems [2] Kristen Koenig, Hauptautorin der Studie, wird bei techexplorist.com so zitiert, dass der Befund „ziemlich schockierend“ sei, „weil nur sehr wenige Leute denken, dass eine Augenlinse einem Bein sehr ähnlich ist.“ (https://www.techexplorist.com/network-genes-essential-squid-eye-development/43945/, vom 08.01.2022) Quellen Junker R (2012) Wieviel Evolution ist durch Kooption möglich? Genesisnet-News, vom 05.12.12, https://www.genesisnet.info/schoepfung_evolution/n189.php Lemons D, Fritzenwanker JH et al. (2010) Co-option of an anteroposterior head axis patterning system for proximodistal patterning of appendages in early bilaterian evolution. Dev. Biol. 344, 358–362. Neal S, Kyle J et al. (2022) Co-option of the limb patterning program in cephalopod eye development. BMC Biology 20:1, https://doi.org/10.1186/s12915-021-01182-2. Rebeiz M, Jikomes N, Kassner VA & Carroll SB (2011) Evolutionary origin of a novel gene expression pattern through co-option of the latent activities of existing regulatory sequences. Proc. Natl. Acad. Sci. 108, 10036–10043. Autor dieser News: Reinhard Junker Informationen über den Autor
E-Mail an den Autor
Druckerfreundliche Version dieser Seite anzeigen © 2024, http://www.genesisnet.info/schoepfung_evolution/n334.php
Über unseren Newsletter-Service werden Ihnen neue Nachrichten auch automatisch per E-Mail zugesandt. | |