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14.07.24  Akzeptable und inakzeptable Teleologie – You can't (still) have your cake and eat it

In der Biologie sind Zielorientierung und Zweckmäßigkeit – Teleologie – nicht wegzudenken. Ein Großteil der Forschung besteht darin, Struktur-Funktions-Beziehungen aufzuklären: Warum sind biologische Strukturen so gestaltet, wie sie sind? Teleologie verweist nun aber nach allen unseren Erfahrungen auf einen intelligenten Urheber. Das führt Evolutionsbiologen in ein Dilemma. Sie lehnen jegliches schöpferische Wirken und Zielorientierung beim Ursprung der Arten ab. Der Versuch, teleologische Begriffe in der Biologie abzuschaffen, erscheint aussichtlos. Wie kann dennoch die Existenz von Teleologie ohne einen Schöpfer erklärt werden?

Teleologie ohne Schöpfer?

Die Wissenschaftszeitschrift „Evolution: Education and Outreach“ befasste sich vor einigen Jahren in mehreren Beiträgen mit dem Thema „Teleologie in der Biologie“ und mit dem Unterrichten dieses Themas an Schulen. Teleologie ist die Lehre von den Zielen und Zwecken. Die Konstruktionen der Lebewesen und die in Stoffwechsel und Vererbung ablaufenden Prozesse sind hochgradig telelogisch, also bis in filigranste Detailebenen auf Zwecke und das Erreichen von Zielen ausgerichtet. Nach aller Erfahrung kennen wir Zweckmäßigkeit und Zielorientierung nur im direkten oder indirekten Zusammenhang mit einem geistbegabten, handelnden Akteur. Dabei weisen Lebewesen ohne Zweifel sehr viel komplexere und anspruchsvollere Strukturen und Prozesse auf, als menschliche Technik und Programmierung sie bisher erschaffen konnten. Der naheliegende Schluss, sozusagen vom Kleineren aufs Größere, lautet, dass die Lebewesen erst recht erschaffen worden sein müssen.

Dieser naheliegende Schluss könnte der Grund dafür sein, dass Evolutionsbiologen sich mit Teleologie in der Biologie schwer tun. Denn seit Darwin wird behauptet, dass die Designs der Lebewesen durch einen ateleologischen Prozess, also ohne jede Zielorientierung und Steuerung entstanden seien. Ein Akteur – eine externe Verursachung – und eine Zielorientierungen werden ausdrücklich ausgeschlossen: „Evolution ist weder vorherbestimmt noch absichtlich gesteuert“ (Hammann & Nehm 2020, 3). Daher wurde hin und wieder vorgeschlagen, teleologische Begriffe aus der Biologie auszumerzen. Doch das dürfte zum Scheitern verurteilt sein, denn die „Wozu“-Frage – die Frage nach dem Zweck – motiviert einen Großteil der biologischen Forschung und ist aus der Forschung in der Biologie gar nicht wegzudenken (anders als in Physik und Chemie oder auch in den Geowissenschaften und der Astronomie).

Auch die Autoren der Beiträge in „Evolution: Education and Outreach“ stimmen der „Abschaffung“ teleologischer Begriffe nicht zu, sondern plädieren für eine differenzierte Verwendung.[1] Wie das gemeint ist, soll in diesem Beitrag beschrieben und kritisch kommentiert werden.

Einer der Autoren, Kostas Kampourakis von der Universität Genf, ist der Auffassung, dass funktionsbezogene teleologische Erklärungen für Organismen wissenschaftlich legitim seien, da unsere Organe Funktionen erfüllen, die für die Organismen nützlich sind (Kampourakis 2020, 3). Dieser Autor plädiert dafür (S. 2 und 4), zwei Ursachen für teleologische Strukturen bzw. „zwei Typen von teleologischen Erklärungen“ zu unterscheiden: 1. externes Design sowie die Ziele eines externen Designers und 2. vergangene natürliche Selektion.[2] Nur die zweite Art der Verursachung sei wissenschaftlich legitim. Das bedeutet für das Beispiel der Existenz unseres Herzens: Wir haben dieses Organ nicht, weil wir (und andere Organismen) das Herz benötigen, um unseren Körper mit Blut versorgen und damit überhaupt leben zu können, sondern wir besitzen Herzen als Ergebnis eines selektiven Vorteils dieses Organs für unsere Vorfahren (S. 2). Das Herz wurde nicht extern verursacht (d. h. durch einen Schöpfer), um dem Organismus die Existenz zu ermöglichen, sondern es existiert wegen einer vergangenen Selektion für dieses Organ („selection for“). Die Idee sei nicht falsch, dass eine Eigenschaft existiert, um eine Funktion auszuüben; in diesem Sinne sei die Rede von Teleologie angebracht („um … zu“ weist auf Teleologie hin[3]). Denn wenn eine Eigenschaft selektiert worden sei für die Funktion, die sie ausübt, dann sei diese Funktion der Grund dafür, dass sie existiert. Nur diese „Selektions-Teleologie“ (wie Kampourakis es nennt) sei eine legitime Form von Teleologie. Nur wenn ein Merkmal für die Funktion, die es erfüllt, selektiert worden sei, könne man sagen, dass es existiert, um diese Funktion zu erfüllen (S. 4). Problematisch sei jedoch die Zuordnung dieser Funktion zu einer „Design-Teleologie“, d. h. die Behauptung, dass ein Merkmal aufgrund der Absichten eines externen Akteurs oder aufgrund der Bedürfnisse des Organismus selbst existiert.

Entsprechend müsse das übergeordnete Ziel des Biologieunterrichts sein, den Schülern zu erklären, dass Funktionen das Ergebnis natürlicher Prozesse wie der Selektion sind und nicht die Erfüllung irgendwelcher Absichten oder Bedürfnisse. Wenn das geklärt ist, sei die Rede von Teleologie legitim.

Analyse und Kritik

1. Die als illegitim angesehene „Design-Teleologie“ steckt auch in der als legitim betrachteten „Selektions-Teleologie“

Kampourakis verwendet 19 Mal die Wendungen „selection for“, „selected for“ oder “selected to“. Die selektionsbasierte Erklärung hat folgende allgemeine Struktur: „Organismen O haben das Merkmal A, um die Funktion B auszuführen, weil letztere einen Vorteil bringt; folglich wurde dieses Merkmal dafür selektiert und ist in seiner Abstammungslinie erhalten geblieben“ (S. 10, Hervorhebung hinzugefügt). Diese Formulierungen implizieren eine Zielorientierung („for“), deren Existenz gleichzeitig bestritten wird. Weil natürliche Prozesse diese Zielorientierung nicht haben, ist es zurecht evolutionsbiologischer Konsens, dass Selektion auf eine bestimmte Funktion erst wirken kann, wenn diese Funktion grundsätzlich vorhanden bereits ist und damit typischerweise auch die Konstruktion, welche die Funktion erst ermöglicht. Ist das der Fall, kann eine Optimierung durch Selektion auf der Basis vorhandener Variation oder durch Mutationen neu generierter Variationen erfolgen; das ist in vielen Experimenten gezeigt worden. Aber für noch gar nicht vorhandene Funktionen ist Selektion völlig blind. Selektion kann daher zur Hervorbringung neuer Funktionen nichts beisteuern. Selektion auf ein Ziel hin impliziert daher eine externe Teleologie, da weder Selektion noch die Organismen sich Ziele setzen können.

Der Autor erörtert als Beispiel für „Selektions-Teleologie“ ein Gedankenexperiment mit grün und braun gefärbten Käfern. Auf braunen Böden überleben wegen ihrer Tarnung nur die braunen Käfer. Diesen plausiblen Vorgang interpretiert er als Beleg, dass „teleologische Erklärungen“ auf der Basis natürlicher Prozesse korrekt seien. Auch Brown et al. (2020), die über Erfahrungen mit dem Unterrichten von Grundschulkindern berichten, verwenden ein (fiktives) Selektionsbeispiel, bei dem von ursprünglich zwei Varianten nur eine übrig bleibt. Doch betreffen solche Beispiele gar nicht den Fall, dass neue Funktionen entstehen, da aus dem Verlust von Varianten nichts über ihren Ursprung erschlossen werden kann – ganz abgesehen vom Ursprung der der betreffenden Strukturen an sich. Es ist irreführend, wenn im weiteren Text dann ein Sprung von den Farbvarianten von Käfern zur Existenz von Herzen erfolgt (S. 6). Muss man wirklich noch extra schreiben, dass es ein völlig anderes Thema ist, wie ein Herz entstanden ist als das Thema, wie Varianten verloren gehen?

Jerry Fodor und Massimo Piattelli-Palmarini hatten in ihrem Buch „What Darwin got wrong“ (2010) am Selektionskonzept in ähnlicher Weise kritisiert, dass in evolutionsbiologischen Darstellungen oft von Selektion auf etwas hin die Rede ist („selection-for“) und dass von Darwin künstliche Selektion als Vorbild für natürliche Selektion genommen wurde. Man könne aber nicht mit einem mentalen Prozess (künstliche Selektion = Züchtung) beginnen, bei dem die Ziele des Züchters eine maßgebliche Rolle spielen, und anschließend in der Anwendung auf natürliche Vorgänge davon absehen (Fodor & Piattelli-Palmarini 2010, 116). Außerdem könne Selektion nur den gesamten Organismus auslesen, es könne aber in einem naturalistischen Rahmen (anders als beim Handeln eines Züchters) nicht bestimmt werden, ob ein bestimmtes Merkmal im komplexen Ganzen Gegenstand der Auslese war.

Wenn man also eine teleologische Struktur auf ein vergangenes Selektionsregime zurückführt, wird die Frage nach der Zielorientierung nur in die Vergangenheit geschoben, aber nicht beantwortet.

2. Warum ist externes Design bei Lebewesen nicht akzeptabel bzw. nicht legitim?

Hammann & Nehm (2020, 2) behaupten einfach so ohne weitere Begründung, dass es Indizien („evidence“) dafür gebe, dass Organismen nicht konstruiert sind. Außerdem folge Evolution nicht Absichten oder Bedürfnissen. Kampourakis (2020, 3) nennt als Grund für den Ausschluss des Design-Standpunkts („design stance“), wie der Autor es nennt, – bei Lebewesen das Vorkommen von fehlerhaftem Design: „Designbasierte Erklärungen sind legitim für Artefakte, die für einen bestimmten Zweck entworfen und geschaffen wurden. Für Organismen sind sie jedoch wissenschaftlich illegitim, da es Indizien dafür gibt, dass sie nicht gestaltet sind, da sie viele nutzlose oder schlecht funktionierende Merkmale besitzen“ (S. 3, Hervorhebung hinzugefügt). Diese Begründung ist jedoch erstens empirisch fragwürdig, denn es gibt eine sehr klare Tendenz in der Forschung: Je besser die Organe der Lebewesen untersucht und verstanden sind, als desto weniger fehlerhaft stellen sie sich heraus (s. Junker 2002). Anders gesagt: Die Behauptung von Fehlern in den Konstruktionen der Lebewesen beruhte in der Vergangenheit in zahlreichen Fällen auf mangelnder Kenntnis und mangelndem Verständnis (ebd.). Der Begründung für die Ablehnung einer designbasierten Erklärung liegt zweitens auch ein logischer Fehlschluss zugrunde, der als „Bejahung des Nachsatzes“ („affirming the consequent“) bekannt ist.[4] Gemeint ist folgende Schlussweise: Wenn die Prämisse „Wenn A, dann B“ zutrifft und die Beobachtung „B“ gemacht wird, lautet die Schlussfolgerung: „A trifft zu“. Dieser Schluss ist nicht zwingend, weil „B“ auch aus anderen Gründen als das Vorliegen von A zutreffen kann. In unserem Fall: Selbst wenn eine Fehlerhaftigkeit nachgewiesen würde („B“), würde daraus nicht „Nicht-Design“ oder „Entstehung durch natürliche Selektion“ („A“) folgen. Es könnte auch sein, dass Schöpfer eben fehlerhaft konstruiert hat (und ob das wirklich der Fall ist, müsste durch Forschung beweisen werden). Drittens kann zumindest aus Sicht des Naturwissenschaftlers nicht ausgeschlossen werden, dass der Schöpfer mit dem Design noch weitere Zwecke verfolgt, die wir nicht unmittelbar einsehen können. In der Bibel (1. Mose 3; Römer 8,19–23) ist z. B. davon die Rede, dass die Schöpfung aufgrund des Sündenfalls bestimmte Merkmale erhalten hat, die aus menschlicher Sicht als suboptimal erscheinen müssen (Stephan 2006a, b). Viertens ist auch suboptimales Design immer noch Design, trägt Designmerkmale und ist somit zu erklären. Auch ein nicht optimal konstruiertes Kraftfahrzeug ist konstruiert worden und nicht durch einen Zufallsprozess entstanden.

An anderer Stelle nennt Kampourakis (2020, 10f.) als Begründung für den Ausschluss von „Design-Teleologie“ beispielhaft die Tatsache, dass Haie mit Kiemen atmen, Delfine dagegen mit Lungen. Es sei unverständlich, warum nicht alle Wasserlebewesen durch Kiemen atmen. Zudem bringe die Lungenatmung im Wasser Nachteile mit sich. Er behauptet sogar, es sei „logisch inkompatibel“, wenn es (im Falle von Schöpfung) für dasselbe Erfordernis verschiedene Lösungen gebe. Doch ist nicht nachvollziehbar, was das mit Logik zu tun hat: Es würde ja auch niemand ernsthaft behaupten, dass Autos nicht auch mit Diesel- oder Elektromotor gebaut werden dürfen, weil man ja schon den Ottomotor erfunden hatte. Das Argument von Kampourakis ist außerdem kein naturwissenschaftlich bewertbarer Sachverhalt, sondern eine (schlecht begründete) theologische Spekulation über die Motive eines göttlichen Schöpfers. Die beschriebene Situation kann man genauso gut als Indiz für den Ideenreichtum des Schöpfers werten.

Kampourakis scheibt weiter: „Die Antwort ist einfach, dass Organismen bestimmte Eigenschaften haben, um eine Funktion zu erfüllen, aber sie haben weder optimale Eigenschaften, noch solche, die alle möglichen Bedürfnisse erfüllen“ (S. 11; Hervorhebung hinzugefügt). Auch das ist trivial, denn kein Organ kann ein Allzweckorgan sein, gleichgültig, auf welchem Wege es entstanden ist – das gilt in der Biologie wie in der Technik. Weder aus einer Fehlerhaftigkeit noch aus den Grenzen der Funktionalität eines Organs kann ein Schluss auf „Nicht-Design“ gezogen werden. Die Antwort von Kampourakis hat also weder eine empirische noch eine logische Basis: „Warum sollten sich zwei Arten von Organismen, die in der gleichen Umgebung leben, so sehr voneinander unterscheiden? Die Antwort ist einfach: weil sie sich evolutionär entwickelt haben und nicht erschaffen wurden“ (S. 11). Nein, hier ist auch eine ganz andere Antwort begründet möglich. Dabei ist sogar denkbar, dass die Antwort durchaus etwas mit Anpassungsprozessen zu tun hat, nicht aber im darwinistischen Sinne: Ein Schöpfer ist frei, verschiedene Grundtypen (Schöpfungseinheiten) zu schaffen, die sich weltweit ausbreiten und sich dann an ähnliche Umweltbedingungen – basierend auf ihren unterschiedlichen Grundbauplänen – mittels präexistenter genetischer Variationsprogramme anpassen können.

Ein weiterer Vorteil der Schöpfungsperspektive ist, dass man so die umfangreichen und allgegenwärtigen Konvergenzen der Lebewesen (nämlich ähnliche Merkmale trotz unabhängiger Herkunft) erklären kann, die evolutionären Modellen große Schwierigkeiten bereiten: Der Schöpfer kann genial konstruierte Merkmale verschiedenen Grundtypen mitgeben, um unter ähnlichen Umweltbedingungen überleben zu können. Aufgrund von zufälligen evolutionären Mutationsprozessen sind solche Konvergenzen hingegen extrem unwahrscheinlich – umso mehr, je häufiger und komplexer sie sind. So erklärt sich die die uns geläufige technische Beobachtung, dass SUVs und Mountainbikes breitere Räder haben, natürlich nicht durch gemeinsame Abstammung, sondern durch dieselbe Design-Idee, dass dies in bergigem Gelände mehr Bodenhaftung verleiht.

3. Warum ist externes Design bei Artefakten selbstverständlich, bei Lebewesen aber ausgeschlossen?

Kampourakis geht auf den Unterschied der Teleologie bei Artefakten und bei Lebewesen ein. Bei menschlichen Artefakten sei klar, dass sie bestimmte Funktionen besitzen, weil ihre Erfinder bzw. Erbauer sie angestrebt haben (externe Teleologie, Design-Teleologie). Bei den Lebewesen habe es dagegen keinen Akteur mit bestimmten Absichten über die Funktion des gestalteten Gegenstandes gegeben. Diese Überlegung ist aber nicht nur unbegründet bzw. dogmatischer Art, sondern auch aus dem bereits genannten Grund paradox, weil Lebewesen ja viel anspruchsvollere Designs als alle menschliche Technik aufweisen. Wie im letzten Abschnitt dargelegt, wurde nicht gezeigt, dass es keinen Urheber bei den Lebewesen gibt, sondern es wurde lediglich an seiner Stelle eine Selektionsgeschichte postuliert: „Die Funktion des Merkmals T ist F, wenn es (auf natürliche Weise) selektiert wurde, um F zu erfüllen“ (S. 4, Hervorhebung hinzugefügt). Beim Vergleich von Artefakten mit Strukturen von Lebewesen werden also ein Urheber und eine Selektionsgeschichte auf eine Stufe gestellt.

Die Übertragung des Schlusses auf Design bei technischen Konstruktionen auf die Lebewesen sieht Kampourakis als großes „konzeptionelles Hindernis für das Verständnis der Evolution“, und dieser Schluss sei der Grund, warum Evolution kontraintuitiv sei.[5] Weil wir von klein auf mit Artefakten zu tun haben und hier zurecht auf externes Design schließen, würden wir den Schluss fälschlicherweise auch bei Lebewesen ziehen, die wir weniger gut kennen. Das Problem sei dabei aber nicht der Schluss auf Teleologie, sondern auf die Ursache für die Teleologie (S. 7): „Mit anderen Worten: Das Problem besteht nicht darin, zu sagen, dass wir ein Herz haben, um Blut zu pumpen, sondern darin, es eher Design als der natürlichen Selektion zuzuschreiben.“

Also müsse man den Unterschied zwischen Artefakten und Strukturen von Lebewesen thematisieren. Dass die Übertragung auf Lebewesen falsch ist, begründet der Autor am Beispiel des Vergleichs des Flügels eines Flugzeugs mit dem Flügel eines Vogels. Ersterer sei zum Fliegen konstruiert worden, zweiterer nicht unbedingt, was man daran sehen könne, dass manche Vögel die Flügel gar nicht zum Fliegen nutzen, sondern zum Tauchen oder zur Gleichgewichtskontrolle verwenden. Dies sei der Fall, „weil Vögel keine Artefakte sind und ihre Flügel nicht absichtlich zum Fliegen entworfen wurden. Wie alle Organismen haben auch Vögel ihre Eigenschaften durch die Evolution erhalten und wurden nicht intelligent entworfen“ (S. 8). Dabei handelt es sich erstens einen Zirkelschluss. Das zu Beweisende (unabsichtliche evolutive Entstehung) wird bereits als Tatsache vorausgesetzt. Zweitens liegt ein Fehlschluss vor: Die Tatsache, dass Flügel je nach Gestaltung für verschiedene Zwecke verwendet werden können, beweist nicht, dass der jeweilige Zweck nicht in der Absicht eines Schöpfers zu suchen wäre – wie sollte man das auch begründen? Um beim konkreten technischen Beispiel zu bleiben: Es gibt auch bei PKWs „Flügel“, die einen anderen Zweck als dem Fliegen dienen – und zwar die sogenannten „Flügeltüren“ zum Einsteigen; dies sagt aber nichts darüber aus, ob Flügel teleologisch konzipiert wurden oder nicht.

Auch im Weiteren wird gleichermaßen zirkelschlüssig argumentiert: Organismen hätten bestimmte Merkmale, „um eine bestimmte Funktion als Folge ihrer Selektion während der Evolution zu erfüllen“ (S. 8). Flügel seien nicht zum Fliegen evolviert, sondern es stellte sich irgendwann in der Evolution heraus, dass man mit diesen Gebilden unbeabsichtigt fliegen konnte: „Wenn Organismen einige Merkmale besitzen, die anscheinend einem bestimmten Zweck dienen, wie z. B. dass Adler Flügel zum Fliegen haben, dann ist das Fliegen in Wirklichkeit eine Folge des Vorhandenseins von Flügeln und anderen geeigneten Körperteilen, die den Organismen selbst dienen und nicht irgendeinem externen Agenten. Die Organismus-Teleologie basiert also auf den Folgen, ohne dass eine absichtliche Gestaltung vorausgesetzt wird, und unterscheidet sich damit erheblich von der Artefakt-Teleologie“ (S. 8). Wie soll man denn das verstehen? Es muss wohl heißen, dass Flügel ihre flugtaugliche Form und die diffizilen Eigenschaften von Federn, deren Verankerung, Federmuskeln, Flugmuskeln und ihre Steuerung und vieles mehr letztlich zufällig erworben haben (s. die massiven Probleme solcher Spekulationen z. B. in Junker 2017; 2024) – jedenfalls nicht durch Zielsetzung. Und dann soll irgendwann die überaus komplexe Fähigkeit entstanden sein, mit diesen zweckentfremdeten Flügeln tatsächlich zu fliegen. Der Erklärungswert einer solchen Formulierung ist praktisch nicht vorhanden. Der Ausschluss der „Design-Teleologie“ und die unbegründete Festlegung auf „Selektions-Teleologie“ führt aber genau zu solchen völlig vagen und schwammigen Szenarien, die das dahinterstehende, ggf. erhebliche evolutionstheoretische Problem lediglich verschleiern und in keiner Weise die behaupteten richtungslosen Schritte ihrer Entstehung modellieren.

Kampourakis hat im Übrigen recht damit, dass wir die Lebewesen weniger gut kennen als menschliche Technik. Wir wissen aber längst genug, um einschätzen zu können, dass die Designs der Lebewesen den menschlichen Designs haushoch überlegen sind. Dieser Vergleich stärkt den Schluss auf einen externen Designer, statt ihn zu schwächen.

Fazit

Die Ausführungen von Kampourakis machen deutlich, dass „Nicht-Design“, gleichbedeutend mit „natürliche evolutive Entstehung“, ohne ausreichende Begründung dogmatisch vorausgesetzt wird und Erklärungsalternativen quasi a priori verworfen werden, d. h. es wird ohne annähernd ausreichende Begründung und mit Fehlschlüssen (Fehlschluss von der Bejahung des Folgesatzes und Zirkelschlüssen) die „Design“-Option ausgeschlossen. Der Schluss auf Teleologie wird nur akzeptiert, wenn die teleologische Struktur auf vergangene Selektion zurückzuführen sein soll.[6] Dies ist aber weder begrifflich noch empirisch plausibel. Außerdem ermöglicht es entsprechend keine Lösung für das evolutionstheoretische Problem der erstmaligen Herkunft teleologischer Strukturen, da Selektion bekanntlich erst wirken kann, wenn eine neue Funktion schon vorhanden ist.

Quellen

Brown SA, Ronfard S & Kelemen D (2020) Teaching natural selection in early elementary classrooms: can a storybook intervention reduce teleological misunderstandings? Evo. Edu. Outreach 13:12, https://doi.org/10.1186/s12052-020-00127-7.

Fodor J & Piattelli-Palmarini M (2010) What Darwin got wrong. New York.

Hammann M & Nehm RH (2020) Teleology and evolution education: introduction to the special issue. Evo. Edu. Outreach 13:16, https://doi.org/10.1186/s12052-020-00130-y.

Junker R (2002) Ähnlichkeiten, Rudimente, Atavismen. Holzgerlingen: SCM Hänssler, https://www.wort-und-wissen.org/produkt/aehnlichkeiten-rudimente-atavismen/.

Junker R (2017) Dino-Federvieh – Zum Ursprung von Vogelfeder und Vogelflug. W+W Special Paper B-17-1, https://www.wort-und-wissen.org/artikel/dino-federvieh-zum-ursprung-von-vogelfeder-und-vogelflug/.

Junker R (2024) War „Aufscheuchen“ die erste Funktion flächiger Federn? Genesisnet-News vom 22.02.2024, https://www.genesisnet.info/index.php?News=333.

Kampourakis K (2020) Students’ “teleological misconceptions” in evolution education: why the underlying design stance, not teleology per se, is the problem. Evo. Edu. Outreach 13:1, https://doi.org/10.1186/s12052-019-0116-z.

Stephan M (2006a) Das Todesgeschick der Tierwelt – von Adam verschuldet. https://www.wort-und-wissen.org/wp-content/uploads/d06-1.pdf

Stephan M (2006b) Die Tierwelt – am Anfang nicht für das Todesgeschick bestimmt. https://www.wort-und-wissen.org/disk/d06-2/

 

 

Anmerkungen


[1] „… moving away from an ‘eliminative’ perspective on teleology and towards a more nuanced stance that differentiates acceptable and unacceptable forms of it“ (Hammann & Nehm 2020, 4).

[2] „… etiological analysis focuses on the origin of functions through selective processes, with functions making causal contributions as a result of older selection pressures“ (S. 4, Hervorhebungen hinzugefügt).

[3] „Teleological explanations are characterized by expressions such as ‘… in order to ….’, ‘… for the sake of…’, ‘… so that …’ etc. …“ (S. 2).

[4] Auch als abduktiver Schluss bezeichnet: Prämisse: Wenn A, dann B; Beobachtung: B trifft zu. Schlussfolgerung: A trifft zu. Es könnte sein, dass B auch aus anderen Gründen als A zutrifft. Mit dem abduktiven Schlussverfahren können Möglichkeiten von Erklärungen dargestellt werden, die dann weiter geprüft werden müssen.

[5] „… this is what in my view makes evolution counter-intuitive, and also makes the design stance a major conceptual obstacle for understanding evolution“ (S. 7). Brown et al. (2020, 1) schreiben dazu: „… natural selection … this concept is one of the most challenging to learn in contemporary science.“

[6] „The first one is the teleological inference, which stems from the perception of design in organisms, and the second one is the inference to the existence of a designer. I argue that the first inference is not problematic, whereas the second inference is. … In other words, teleological explanations are acceptable, insofar as it is made clear that the underlying consequence etiology is selection-based and not designed-based“ (S. 7, Hervorhebung im Original).

Autor dieser News: Reinhard Junker

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