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30.01.25  „Punk“ und „Emo“ – Weichtierfossilien mit überraschenden Merkmalskombinationen

Wieder einmal machen neue Fossilfunde größere Revisionen bei bisherigen evolutionären Abstammungsvorstellungen erforderlich. Zwei ungewöhnliche Funde von Weichtieren (Mollusca), die zur Untergruppe der Stachelweichtiere (Aculifera) gestellt werden, zeigen zum einen, dass es in dieser Gruppe auch komplex gebaute Formen gab, zum anderen, dass sich ihre Merkmalskombinationen einer widerspruchfreien Anordnung im mutmaßlichen Stammbaum widersetzen. Wie in vielen anderen Fällen muss eine „komplexe“ Evolution mit Konvergenzen (unabhängige Entstehung baugleicher Merkmale) und Rückentwicklungen angenommen werden. Je häufiger das der Fall ist, desto mehr wird die Existenz eines Stammbaums in Frage gestellt.

Die Liste von fossil erhaltenen Formen, deren Existenz aufgrund bisheriger evolutionärer Vorstellungen nicht vorhergesagt worden wäre, wird erneut länger. Dieses Mal sind es zwei ungewöhnlich gut erhaltene Weichtiere (Tierstamm Mollusca) aus dem Mittelsilur (Wenlock) von England (auf 430 Millionen radiometrische Jahre datiert), die überraschende Merkmalskombinationen aufweisen. Die Mollusken bilden nach den Gliederfüßern den zweitgrößten Tierstamm und werden in die Unterstämme Stachelweichtiere (Aculifera) und Schalenweichtiere (Conchifera) unterteilt. Zu den letzteren gehören neben weniger bekannten Gruppen auch Schnecken, Muscheln und Kopffüßer wie z. B. Tintenfische.

Die zwei neuen Funde werden den Stachelweichtieren zugeordnet und wurden in der Fossillagerstätte Herefordshire in England entdeckt (Sutton et al. 2025). Als „Lagerstätten“ werden Fossilfundstellen bezeichnet, die Fossilien in besonders guter Erhaltung bergen, einschließlich Weichteilen. Die beiden neu entdeckten Gattungen befanden sich in sogenannten Konkretionen (Mineral-Aggregaten). Sie konnten zwar nicht herauspräpariert werden, doch war es dank moderner Untersuchungstechniken durch eine Kombination aus physikalisch-optischer Tomographie und Phasenkontrast-Synchrotron-Röntgen-Mikrotomographie möglich, die Funde in detaillierter 3D-Modellierung darzustellen. Außerdem ist ihre Körperoberfläche perfekt erhalten, was bei Fossilien  außergewöhnlich ist.

Die Fossilien erhielten ungewöhnliche Namen: Punk ferox und Emo vorticaudum. Aus dem Spitznamen „Punk“ machten die Wissenschaftler tatsächlich die Bezeichnung einer neuen Gattung; und sie fanden, dass „Emo“ gut dazu passen würde. Der Name Punk ist inspiriert durch die borstenartigen Körperanhänge, die an Punk-Frisuren erinnern (Abb. 477). Die Unterseiten der Tiere waren glatt, was auf Bewegung am Meeresboden hindeutet.  Emo ist in einer gefalteten Haltung erhalten, was von den Forschern so gedeutet wird, dass sich die Tiere wie Spannerraupen fortbewegten und ihre Stacheln zum Greifen und Vorwärtsschieben nutzten. Wie sich Punk fortbewegte, ist den Forschern aber noch nicht klar; ihr kammartiger Fuß unterschied sich von allen heute existierenden Mollusken.

Was ist überraschend an den neuen Funden?

Bisher wurden die Stachelweichtiere als ziemlich „konservativ“ interpretiert, also als wenig veränderlich; und ihr morphologischer und ökologischer Bereich war nur unzureichend erforscht. Die neuen Arten erweitern nun aber das morphologische und ökologische Spektrum erheblich und die Merkmale weisen neue und unerwartete Kombinationen auf, auch von solchen Merkmalen, „die seit langem als äußerst wichtig für die Klassifizierung und Phylogenie von Mollusken [Weichtieren] gelten“ (Sutton et al. 2025, 3). Dies hat Schwierigkeiten in der stammesgeschichtlichen Rekonstruktion zur Folge, da die betreffenden Merkmale nicht exklusiv für bestimmte Abstammungslinien sind, die im Rahmen der Evolutionsanschauung angenommen werden müssen.

Ein weiterer Befund sind die unerwartete Merkmalskombinationen. Die Stachelweichtiere, zu denen Punk und Emo gestellt werden, werden weiter aufgeteilt in Käferschnecken (Polyplacophora) und Wurmmollusken (Aplacophora; häufig als polyphyletisch diskutiert – d. h. es ist dann keine geschlossene Abstammungsgemeinschaft); vgl. Abb. 478. Punk ähnelt den Wurmmollusken in seinem wurmförmigen Körper, dem Fehlen von Klappen (Valven) und dem Skleritom (äußere Hartteile) mit langen Stacheln. In anderer Hinsicht ähnelt er jedoch den Käferschnecken, da er einen breiten Mittelfuß (oder ein dem Fuß homologes Organ) mit einer nicht zentralen (d. h. peripheren) Atmungshöhle besitzt, in der sich seriell angeordnete Kiemen befinden. Die Beschränkung der bauchwärts gelegenen (ventralen) Atmungshöhle auf die hintere Körperhälfte ist auch als Merkmal einiger Käferschnecken bekannt (Sutton et al. 2025, 3).

Ähnlich ist die Situation bei Emo: Diese Art ähnelt einerseits einer Untergruppe der Wurmmollusken mit einem breit wurmförmigen Körper, einer vorderen Region, die mit der entsprechenden Region der Schildfüßer (Caudofoveata = eine Untergruppe der Wurmmollusken) vergleichbar ist, einer hinteren Region, die eng mit dem entsprechenden Abschnitt der heute existierenden Schildfüßer vergleichbar ist, und einem dichten und vollständigen Skleritom aus Dorsalstacheln. Außerdem fehlt ihm ein Fuß, und seine Atmungsstrukturen sind vorne und nicht bauchseitig gelegen. Andererseits ähnelt Emo jedoch den Käferschnecken, da sie rückseitig gelegene (dorsale) Valven (Klappen) im Kopfbereich trägt und einen abgeflachten Körperbau besitzt (Sutton et al. 2025, 3f.).

Bei den beiden Fossilien handelt es sich somit nicht um Übergangsformen zwischen beiden Gruppen Käferschnecken und Wurmmollusken, oder um deren Vorläufer, sondern um einen Merkmalsmix, der zu einem Netzwerk von Merkmalsbeziehungen anstelle eines widerspruchsfreien Baums führt. Die Autoren schreiben: „Die Rekonstruktion des Zustandes der Vorfahren zeigt eine Konvergenz [evolutionär unabhängige Parallelentwicklung] bei Merkmalen, die traditionell als diagnostisch für größere Gruppen gelten. Zu den konvergenten Merkmalen gehört die Anzahl der Klappen, die in keiner Rekonstruktion der Verzweigungsreihenfolge unseres Baumes übereinstimmt und wahrscheinlich unabhängig in den Linien, die zu[r gemeinsamen Gruppe] Punk + Aplacophora [Wurmmollusken] führen, und zu Emo reduziert wurde“ (Sutton et al. 2025, 14). Der speziell gebaute, kammartige Fuß von Punk verkompliziere die Geschichte dieses Merkmals zusätzlich. Die Autoren fassen zusammen: „Phylogenetische [stammesgeschichtliche] Analysen deuten auf eine Position innerhalb eines komplexen Netzes von Taxa [Gruppen] hin und lassen auf Umkehrungen bei grundlegenden Merkmalen wie dem Vorhandensein von Klappen und der Art des Fußes schließen“ (Sutton et al. 2025, 1). Die Annahme eines morphologischen Konservatismus und einer Einfachheit im Körperbau bei den frühen Stachelweichtieren muss angesichts der komplex gebauten neuen Funde aufgegeben werden.

Sutton & Sigwart (2025) schreiben in ihrer Zusammenfassung der Ergebnisse: „Merkmale, die üblicherweise als relativ stabil angesehen werden, wie das Vorhandensein von Schalen oder eines Fußes, haben eine komplexe Evolutionsgeschichte und sind sowohl verloren als auch hinzugekommen. Die Bandbreite der physischen Merkmale und Ökologien der Aculifera war in der Vergangenheit wesentlich größer als heute. Die lebenden Aculifera scheinen nur einen winzigen Bruchteil einer einst vielfältigen Gruppe mit einer komplexen Evolutionsgeschichte darzustellen.“ Die neuen Funde zeigten, „dass unser Wissen über die Aculifera nach wie vor unzureichend ist. Die schiere anatomische Diskrepanz zwischen den bekannten Fossilien und den heute lebenden Gruppen deutet darauf hin, dass das verfügbare Material die ursprüngliche Vielfalt nur unzureichend wiedergibt.“

Kommentar

Wie üblich werden in den Wissenschaftsmeldungen die neu beschriebenen Fossilien als Funde gedeutet, die dabei helfen sollen, den evolutionären Stammbaum – hier den der Mollusken – besser zu verstehen.[1] Das mag einerseits zutreffen – dabei ist die Situation komplizierter als bisher gedacht –, aber die neuen Funde werfen unbeantwortete Fragen nach dem Modus der angenommenen Evolution auf, die sich einem regelmäßig auch bei anderen Organismengruppen stellen: Wie kommt es zu den Konvergenzen und Rückentwicklungen, die nur den Anschein von gemeinsamen Ähnlichkeiten erwecken? Warum lässt sich die Formenvielfalt zwangloser in einem Netzwerk von Ähnlichkeitsbeziehungen als in einem Stammbaum darstellen, falls es wirklich einen Stammbaum gegeben haben sollte?

Die Autoren des Fachartikels in Nature kommentieren, dass die Konvergenzen und bisher unbeschriebenen Merkmalskombinationen die „Komplexität und Plastizität der frühpaläozoischen Aculifera-Fauna“ [d. h. der damals lebenden Stachelweichtiere] unterstreichen würden. Dies folge dem Muster der extremen Verschiedenartigkeit und von Konvergenzen im gesamten Tierstamm der Mollusken (Sutton et al. 2025, 6) – hier wird übrigens zwischen den Zeilen zugegeben, dass diese Befunde systematische Probleme bei der Evolution der Weichtiere darstellen.

 Mit „Plastizität“ (plasticity) ist hier allerdings – entgegen dem sonstigen Gebrauch dieses Begriffs – nicht die individuelle Anpassungsfähigkeit gemeint, sondern der Formenreichtum der verschiedenen Molluskengruppen. Mit anderen Worten: Verschiedenartigkeit und Komplexität sind früh etabliert, statt schrittweise sich zu entwickeln. Und Konvergenzen – unabhängige Entstehung baugleicher Merkmale – hindern die Versuche, Abstammungszusammenhänge zu rekonstruieren. Diese offenbar systematischen Befunde sind nicht das, was man erwarten würde, wenn man von einer evolutiven Entstehung ausgeht.

Etwas flapsig formuliert: Punk und Emo widersetzen sich schlichtweg der Einordnung in das (evolutionäre) System, und sollten nachdenklich darüber machen, was Evolutionsfaktoren und Stammbaumrekonstruktionen wirklich zu leisten vermögen.

Anmerkung

[1] z. B.: „This mix of features helps researchers better understand the mollusc evolutionary tree – pointing to a story that involves more complexity and diversity than previously thought.“ https://www.earth.ox.ac.uk/article/discovery-punk-and-emo-fossils-challenges-our-understanding-ancient-molluscs

Literatur

Sutton MD, Sigwart JD et al. (2025) New Silurian aculiferan fossils reveal complex early history of Mollusca. Nature 637, 631–636, doi:10.1038/s41586-024-08312-0.

Sutton MD & Sigwart JD (2025) Spiky fossils Punk and Emo change our understanding of molluscan evolution. https://www.nature.com/articles/d41586-024-04147-x

Autor dieser News: Reinhard Junker

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