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21.03.25  Baminornis befördert Archaeopteryx auf das Abstellgleis

Ein neuer Vogelfund aus dem Oberjura Chinas – Baminornis zhenghensis – weist überraschend modern anmutende Vogelmerkmale auf: Ein pygostylartiges Ende der Wirbelsäule – geeignet als Ansatzstelle für einen Fächerschwanz –, einen heutigen Vögeln vergleichbaren Schultergürtel, und ein vogelartiges Gabelbein (Furkula). Baminornis unterscheidet sich in diesen Merkmalen deutlich vom etwa gleichalten „Urvogel“ Archaeopteryx, der durch diesen neuen Fund seine Position als evolutionäres Bindeglied wohl endgültig verliert. Die Forscher sehen die Notwendigkeit, Vogelvorfahren in tieferen Schichten als bisher zu suchen.


Einleitung

Bis vor kurzem galt der berühmte „Urvogel“ Archaeopteryx als der einzige bekannte Vogel aus dem Oberjura und – im Rahmen evolutionstheoretischer Modellierungen – zugleich mit deutlichem Abstand als ältester Vogel (ca. 150 Millionen radiometrische Jahre, MrJ). Es wurden zwar noch ältere mit echten Federn ausgestattete Formen gefunden (s. u.), die aber nicht als Vögel klassifiziert werden. Archaeopteryx kann aufgrund einer Kombination wichtiger Merkmale als eine Mosaikform im Bereich zwischen bestimmten zweibeinig sich fortbewegenden Raubdinosauriern (Theropoden) und „moderneren“ Vögeln angesehen werden. Am auffälligsten reptiltypisch sind ein bezahnter Kiefer, eine lange Schwanzwirbelsäule und scharfe Klauen, während die Flügel mit flächigen, asymmetrischen Federn und manche Schädelmerkmale vogeltypisch sind.

Einige Funde der letzten ca. 15 Jahre haben allerdings dazu geführt, dass Archaeopteryx in Bezug auf den Besitz flächiger Federn seinen Status als ältestes Fossil mit echten Federn verloren hat. „Echt“ meint „flächig, mit Federschaft, Federästen und Federstrahlen“. Bei einigen fossilen Arten, die zur Theropoden-(Raubdinosaurier-)Untergruppe der Anchiornithidae gestellt werden und die bis ca. 10 MrJ älter als Archaeopteryx datiert werden, wurden echte Federn nachgewiesen. Dies betrifft Anchiornis huxleyi (Hu et al. 2009; ca. 160 MrJ), bei Caihong juji (Hu et al. 2018; ca. 161 MrJ) und indirekt Fujianvenator prodigiosus (Xu et al. 2023; ca. 150 MrJ), bei dem aufgrund von Skelettmerkmalen auf den Besitz von Federn geschlossen wird. Darüber hinaus gibt es echte Federn auch bei den jüngeren, erst seit der Unterkreide fossil bekannten, vierflügeligen Gattungen Microraptor und Changyuraptor, die zu einer anderen Theropodengruppe gestellt werden, den Dromaeosauridae. Nebenbei bemerkt müssen diese vierflügeligen Formen den Flug unabhängig (konvergent) von der Linie der echten Vögel erworben haben – ebenso wie die an den Flugflächen nicht mit Federn, sondern mit Flughäuten (!) ausgestatteten Arten Yi qi und Ambopteryx longibrachium (vgl. Junker 2019, 9; je ca. 160 MrJ).

Von den oben genannte Gattungen besaß Caihong sogar ebenso wie Archaeopteryx asymmetrische Flugfedern, während bei Anchiornis nur symmetrische Federn in ungewöhnlicher Anordnung erkennbar sind. Die Art der Flugfähigkeit der oberjurassischen Arten und die genaue Funktion ihrer Federn sind unklar. Die Merkmalskombinationen waren allesamt mehr oder weniger unerwartet und wurden im Falle Fujianvenator sogar als „bizarr“ bezeichnet (Coleman 2023). Diese Merkmalsmosaike sind insgesamt bezüglich Funktionalität und ökologischer Bedeutung schwer zu verstehen und die betreffenden Gattungen passen nicht in eine lineare evolutionäre Reihe von bestimmten Dinosauriergruppen zu Archaeopteryx oder in eine Linie zu anderen Vögeln. Die Positionen dieser Gattungen in den Cladogrammen sind je nach Analyse unterschiedlich und ändern sich bei Hinzunahme neuer Arten häufig (Abb. 480).


Vorhersage neuer Fossilfunde und Baminornis

Eine spannende Frage an Evolutionsbiologen lautet, welche Merkmalsausprägungen man vor dem Hintergrund dieses Kenntnisstandes aus evolutionärer Sicht erwarten würde, wenn weitere vogelartige Fossilfunde aus dem Oberjura gefunden würden. Solche Vorhersagen sind aber nicht bekannt. Man kann allerdings Folgendes sagen: Angesichts der Tatsache, dass aus dem Oberjura unterschiedliche Merkmalsmosaike mit unklaren Abstammungsbeziehungen bekannt sind, sollte man aus evolutionstheoretischer Perspektive durch zukünftige Fossilfunde diesbezüglich zunehmende Klarheit erwarten – anders ausgedrückt: Evolutionsbiologen sollten passende Übergangsformen erwarten, die insgesamt widerspruchsfrei zwischen verschiedene, bereits bekannte Gattungen eingefügt werden können.

Anfang des Jahres wurde mit Baminornis zhenghensis nun tatsächlich eine weitere fossilisierte Vogel-Art im Oberjura Südost-Chinas beschrieben. Sie besaß (aus evolutionstheoretischer Sicht überraschenderweise) einige „moderne“ Vogelmerkmale. Das geologische Alter (ca. 150 MrJ) entspricht etwa dem Alter der Solnhofener Plattenkalke, in denen Archaeopteryx im fränkischen Altmühltal gefunden wurde. Von der neu entdeckten fossilen Gattung sind Teile der linken Vorder- und Hinterextremität, ein Teil des linken Brust- und Beckengürtels, Rücken- und Schwanzwirbel, ein mutmaßliches Pygostyl sowie mehrere Rippen und Bauchrippen (Gastralia) gefunden worden. Daraus kann abgeschätzt werden, dass Baminornis 130–300 Gramm schwer und ca. 15 cm groß war. Obwohl keine fossilen Federn gefunden worden, ist aufgrund der anatomischen Merkmale unstrittig, dass es sich um einen Vogel handelt (Abb. 481).

Bemerkenswert sind besonders zwei Befunde: Erstens besitzt Baminornis keinen langen Schwanz, wie er bei Raubsauriern, bei Archaeopteryx und der „primitiven“ Vogelgattung Jeholornis (Unterkreide) vorkommt. Stattdessen sind bei Baminornis am Ende der Wirbelsäule fünf seiner Wirbel zu einem kurzen, nach oben gebogenen Stummel verschmolzen, wie das bei Pygostylen von Vögeln der Fall ist. Das Pygostyl verankert die Flugfedern des Fächerschwanzes, verringert den Luftwiderstand (im Vergleich zu Vögeln mit langem Fiederschwanz) und trägt dazu bei, den Schwerpunkt nach vorne zu den Flügeln zu verlagern, was die Biomechanik unterstützt. Das Pygostyl von Baminornis ist nach Chen et al. (2025) noch „abgeleiteter“ (und damit vogelähnlicher) ist als das Pygostyl mancher Pygostylier aus der Unterkreide (vgl. Abb. 480), da bei ersterem weniger Wirbel einbezogen sind. Aus evolutionstheoretischer Sicht wäre eine unabhängige (konvergente) Entstehung des Pygostyls bei Baminornis theoretisch denkbar – schließlich muss eine konvergente Entstehung sowieso schon einigen Oviraptorosauriern, Therizinosauriern und Scansoriopterygiden angenommen werden, da dieses Merkmal auch dort unsystematisch verteilt vorkommt (Chen et al. 2025, 446). Die Anzahl extrem unwahrscheinlicher Konvergenzen beim Merkmal „Pgyostyl“ hat sich damit noch einmal vergrößert. Die von Chen et al. ins Spiel gebrachte Alternative, nämlich eine Rückentwicklung des Pygostyls zu einer langen Schwanzwirbelsäule wie bei Jeholornis, dürfte wegen des enormen Rückbaus und völlig unklarer Selektionsdrücke noch weniger glaubhaft sein.[1] (Die Schwanzwirbelsäule von Jeholornis ist sogar noch etwas länger als die von Archaeopteryx.) Kein Wunder, dass das Auftreten von abgeleiteten Strukturen bei Baminornis für die Beschreiber „unerwartet“ ist (Chen et al. 2025, 447).

Zweitens sind beim Schultergürtel von Baminornis Schulterblatt und Rabenbein in vogeltypischer Weise getrennt, und das Rabenbein hat die Form einer Strebe. Diese Konstellation hängt mit der speziellen Muskulatur und den Armbewegungen des Schlagflugs zusammen (Chen et. al. 2025). Diese anatomischen Merkmale deuten nach Auffassung der Forscher darauf hin, dass Baminornis sehr wahrscheinlich besser fliegen konnte als Archaeopteryx und dass er vielleicht sogar besser flog als einige andere Vögel aus der deutlich jüngeren Unterkreide.

Außerdem wurde in denselben Schichten ein spitzwinkliges Gabelbein (Furkula, verschmolzene Schlüsselbeine) gefunden, das ähnlich ausgebildet ist wie das Gabelbein bei der Vogelgruppe der Ornithuromorpha, von der viele Gattungen aus der Kreide bekannt sind und aus der die heutigen Vögel hervorgegangen sein sollen. Das Gabelbein wirkt wie eine Feder, um Energie während des Fluges zu speichern.

Die Hand von Baminornis ist andererseits der Hand von Maniraptoren („Handräuber“, Gruppe von Theropoden-Dionsauriern) vergleichbar – insgesamt bilden die Merkmale also ein absolut merkwürdiges Mosaik. Daraus resultiert ein markanter Merkmalswiderspruch: Nach den Schultermerkmalen ist Baminornis „fortschrittlicheren“ Vögeln zuzuordnen, während dieselbe Skelettpartie beim gleichalten Archaeopteryx und den jüngeren (!) Confuciusornithiden (Unterkreide) „ursprünglicher“ ausgeprägt ist. Dagegen sind aufgrund der Handmerkmale alle jurassischen vogelartigen Gattungen einschließlich Baminornis mit Theropoden gruppiert, die weit entfernt von den vogelartigen Formen sind (Chen et al. 2025, 447).

Da bei Baminornis kein Brustbein entdeckt wurde, ist unklar, wie groß seine Flugmuskeln waren; und da Federn nicht überliefert sind, kann der Bau der Flügel nicht rekonstruiert werden. Auch das Vorkommen eines Pygostyls hilft hier nicht weiter, da ein Pygostyl unabhängig auch bei einigen Theropoden vorkommt (s. o.), die keine nähere verwandtschaftliche Beziehung zu Vögeln haben (Brusatte 2025, 324) und deren Funktion unklar ist.

 

Kommentar und Schlussfolgerungen

Chen et al. (2025) sprechen von „mosaikartiger Evolution entlang der Stammlinie, die zu den Vögeln führt“. Der Begriff „mosaikartig“ kaschiert aber ein schwerwiegendes evolutionstheoretisches Problem: Eine klare graduelle Abfolge, die evolutionär zu erwarten wäre, ist in den Fossilien nicht erkennbar. Vielmehr stellt sich die Vielfalt jurassischer befiederter Formen als ein Netzwerk verschiedenster Merkmalsmosaike dar, wobei ungeklärt ist, zu welcher Form von Flug diese Formen jeweils befähigt waren. Zudem platzieren phylogenetische (stammesgeschichtliche) Analysen diese Gattungen auf verschiedene Äste, sodass selbst unter den zweiflügeligen Formen (unter Ausschluss der vierflügeligen Dromaeosauriden-Gattungen aus der Unterkreide) ein mehrfach unabhängiger Erwerb von Flugfähigkeit diskutiert wird. Und wie bereits erwähnt, führen verschiedene Studien je nach betrachteten Merkmalen zu unterschiedlichen Verwandtschaftsverhältnissen. So werden die langschwänzigen jurassischem Anchiornithiden und Scansoriopterygiden teils den Vogelverwandten (Avialae) zugeordnet (Chen et al. 2025, 441), teils jedoch außerhalb der Avialae gestellt (Abb. 480).

Aus dem Merkmalsmosaik von Baminornis ergeben sich des Weiteren folgende Schlussfolgerungen:

1. Archaeopteryx scheidet als Übergangsform zwischen Dinosauriern und Vögeln aus, da mit Baminornis eine Form mit „hochgradig abgeleiteten Vogelmerkmalen“ (Chen et al. 2025, 441) gleichzeitig überliefert ist und es jüngere Formen in der Unterkreide gibt, die in manchen Merkmalen ebenfalls „primitiver“ sind als Baminornis.

2. Der Befund, dass Pygostyl-Konstruktionen bei verschiedenen Theropoden bzw. „Urvögeln“ mehrfach auftreten, kann evolutionstheoretisch nicht einfach achselzuckend beiseitegelegt werden. Konvergenzen sind evolutionstheoretisch problematisch, da sie im Rahmen zukunftsblinder, zufälliger Evolutionsprozesse unerwartet sind. Mit Baminornis kommt hier entweder eine aus evolutionärer Sicht unwahrscheinliche  neue Pygostyl-Konvergenz hinzu oder es müssen erhebliche Änderungen in den Vorstellungen über die Vogelevolution vorgenommen werden, insbesondere müssten Vogelvorfahren in tieferen Schichten gesucht werden – so sehen es Chen et al. (2025) (s. u.).

3. Mit Baminornis werden somit keine vorhandenen Lücken zwischen bereits bekannten Gattungen geschlossen, sondern es tun sich große (!) neue Lücken für ein Evolutionsverständnis auf. Die Anzahl von Mosaikformen, die nicht widerspruchsfrei in eine Baumdarstellung gebracht werden können, nimmt mit Baminornis weiter zu. „Dieses Fossil liefert einen eindrucksvollen Beweis dafür, dass die Vögel schon früh in ihrer Geschichte vielfältiger waren als bisher angenommen“ (Brusatte 2025, 324).[2] Der Ursprung der Flugfähigkeit mithilfe von Federn muss deutlich in die Vergangenheit geschoben werden, in der aber keine einigermaßen passenden Übergangsformen bekannt sind. „Diese neu entdeckten Fossilien […] deuten auf einen früheren Ursprung der Vögel und eine Radiation der frühen Vögel im Jura hin“ (Chen et al. 2025, 441).[3] Einer Klärung der Entstehung des Vogelflugs im Rahmen des Evolutionsparadigmas kommt man mit dem neuen Fund nicht näher – im Gegenteil: Denn 1. muss die Suche nach geeigneten Vorläufen in tieferen Schichten neu aufgenommen werden. 2. Dinosauriergruppen mit haarartigen Körperbedeckungen aus der deutlich jüngeren Unterkreide wären zeitlich noch weiter als bisher von mutmaßlichen Vogelvorfahren entfernt. Und 3. bestätigt sich der Trend, dass neue Funde mehr Mosaike und mehr Vernetzung und damit einhergehend weniger Klarheit in möglichen Abstammungsverhältnissen bringen.

 

Literatur

Brusatte SL (2025) The lost long tail of early bird evolution. Nature 638, 332–324.
Chen R et al. (2025) Earliest short-tailed bird from the Late Jurassic of China. Nature 638, 441–448, doi: 10.1038/s41586-024-08410-z.
Coleman L (2023) ‘Weird’ dinosaur prompts rethink of bird evolution. Nature 621, 239, doi: 10.1038/d41586-023-02757-5.
Hu D, Hou L, Zhang L & Xu X (2009) A pre-Archaeopteryx troodontid theropod from China with long feathers on the metatarsus. Nature 461, 460–463.
Hu D, Clarke JA et al. (2018) A bony-crested Jurassic dinosaur with evidence of iridescent plumage highlights complexity in early paravian evolution. Nat. Comm. 9, 217.
Junker R (2019) Sind Vögel Dinosaurier? Eine kritische Analyse fossiler Befunde. W+W Special Paper B-19-4, https://www.wort-und-wissen.org/artikel/voegel-dinosaurier-fossile-befunde/.
Xu L, Wang M et al. (2023) A new avialan theropod from an emerging Jurassic terrestrial fauna. Nature 621, 336–343, doi:10.1038/s41586-023-06513-7.


Genesisnet-Artikel zu den erwähnten Arten bzw. Gattungen

Anchiornis: Vierflügelige Vögel am Anfang? und Archaeopteryx – Gleitflieger und Bindeglied  

Fujianvenator: Ein neues Bindeglied zwischen Dinosauriern und Vögeln?

Caihong: Caihong – ein Konkurrent für den „Urvogel“?

Confuciusornithidae: Confuciusornis: Alter Vogel mit hoher Flugkunst und Urvogel Confuciusornis unerwartet „modern“ 


Anmerkungen

[1] „The stemward position of Baminornis relative to the long-tailed Jeholornis raises following questions: did the pygostyle evolved independently in Baminornis? Alternatively, was the long tail re-evolved in Jeholornis since the appearance of pygostyle in the last common ancestor of Baminornis onward?” (Chen et al. 2025, 446)

[2] „[T]his fossil provides striking evidence that birds were more diverse early in their history than was previously thought“ (Brusatte 2025, 324).

[3] „These newly discovered fossils demonstrate the early appearance of highly derived bird features, and … they suggest an earlier origin of birds and a radiation of early birds in the Jurassic“ (Chen et al. 2025, 441).

Autor dieser News: Reinhard Junker

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