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02.06.07  Stanley L. Miller - Pionier der Ursuppenforschung gestorben

Am Sonntag, 20. Mai 2007 starb in einem Pflegeheim in der Nähe von San Diego der Chemiker Stanley Miller (* 7. März 1930). 1953 erschien in der Wissenschaftszeitschrift Science unter seinem Namen eine Aufsehen erregende Arbeit über die Herstellung von Aminosäuren unter präbiotischen (=vor der Existenz von Leben) Bedingungen. Mit dieser Arbeit betrat der junge Chemiker die wissenschaftliche Bühne und kann als Pionier der experimentellen Erforschung chemischer Prozesse zur Lebensentstehung gelten. Theoretische Überlegungen dazu hatten zuvor bereits der russische Biochemiker Alexander Oparin (1924), der britische Physiker John D. Bernal (1949) sowie der Nobelpreisträger und Doktorvater von Miller, Harold C. Urey (1952) veröffentlicht. Auch wenn sich die euphorischen Hoffnungen, die mit dieser und den nachfolgenden Veröffentlichungen von Miller verknüpft wurden, bis heute bei weitem nicht erfüllt haben, fanden sie doch große Resonanz in der wissenschaftlichen Diskussion und Eingang in Lehrbücher, in letzteren meist in sehr unkritischer Form.

In den Ursuppenexperimenten nach Miller entstehen in wässrigen Systemen aus einfachen Gasgemischen unter dem Einfluss unterschiedlicher Energiequellen komplexe Produktgemische, diese enthalten u.a. auch einige proteinogene (=in den Proteinen der Lebewesen vorkommende) Aminosäuren. Diese Befunde werden bis in die aktuellen Auflagen von Schul- und anderen Lehrbüchern zitiert und so dargestellt, als sei damit historisch der entscheidende Durchbruch zum Verständnis der Lebensentstehung gelungen.

Miller hat im Gegensatz zu vielen Lehrbuchautoren die experimentellen Untersuchungen zur Chemie der Lebensentstehung stets kompetent und nüchtern kritisch diskutiert. In Publikationen und Tagungsbeiträgen hat er immer wieder deutlich gemacht, dass die entscheidenden Fragen der Lebensentstehung nach wie vor offen sind und dass die 1953 geweckten Erwartungen bisher unerfüllt geblieben sind (Binder 2003). Die von ihm durchgeführte Synthese von Aminosäuren stellt auch in allen bis heute getesteten Varianten keine plausible Ausgangsbasis für die Entstehung von Oligo- oder Polypeptiden (=aus vielen Aminosäuren zusammengesetzte kettenförmige Verbindung) (Eiweiß) dar. Das wässrige System steht einer Kondensationsreaktion (=Verknüpfung der Aminosäuren unter Wasserabspaltung) entgegen und die monofunktionellen Bestandteile des Produktgemisches verhindern Polymerisationsreaktionen (Kettenbildung) sehr effektiv (Details siehe Entstehung von Proteinen). Auch das Problem der Homochiralität (Imming 2006) von Biomakromolekülen ist nach wie vor ungelöst (siehe auch Kurzübersicht in Die fehlenden Spiegelbilder). Miller hat auch andere Lösungsansätze zur Frage der Lebensentstehung mit seinen Mitarbeitern kritisch geprüft und z.B. gezeigt, dass für die derzeit populäre RNA-Welt Hypothese die geringe chemische Stabilität der RNA-Bausteine ein derzeit noch ungelöstes Problem darstellt und einfachere Vorstufen notwendig macht (zur detaillierten Diskussion s. Junker & Scherer 2006 und Binder et al. 2007; siehe außerdem RNS-Welt und Replikation).

Nach einem öffentlichkeitswirksamen Start seiner wissenschaftlichen Karriere hat Stanley Miller 1954 unter H. C. Urey an der University of Chicago seine Dissertation abgeschlossen. Er war nach den Zwischenstationen California Institute of Technology und Columbia University seit 1960 im Department of Chemistry der University of California, San Diego tätig. Neben anderen Auszeichnungen erhielt Miller 1983 nach C. Ponnamperuma (1980) als zweiter Preisträger die Oparin-Medaille der ISSOL – The International Astrobiology Society (früher: International Society for the Study of the Origin of Life). Die letzten Veröffentlichungen mit Stanley Miller als Autor erschienen 2000 (seit 1999 hat er mehrere Schlaganfälle erlitten).

Die von Stanley Miller mit ausgelöste und maßgeblich geprägte naturwissenschaftliche Erforschung der Lebensentstehung konnte bis heute die geweckten und hochgesteckten Erwartungen – in klarem Gegensatz zu vielen populären Darstellungen – nicht erfüllen. Miller ging es bei aller persönlichen Popularität in seinen Publikationen, Vorträgen und bei Diskussionen darum, dass in der Erforschung der Chemie der Lebensentstehung kompetent, gründlich und nüchtern gearbeitet wird. Er hat dazu wichtige Beiträge geleistet, und es bleibt zu wünschen, dass er in dieser Hinsicht für die zukünftige Arbeit Vorbild bleibt.

Literatur

Binder H (2003) Miller-Experimente zur Chemie der Lebensentstehung – 50 Jahre danach. Stud. Int. J. 10, 65-73. (online: http://www.wort-und-wissen.de/sij/sij102/sij102-3.html)

Binder H, Scherer S & Imming P (2007) Was ist über die Entstehung des Lebens bekannt? Religion - Staat - Gesellschaft 7 (2), 389-416.

Imming P (2006) Die fehlenden Spiegelbilder. Erklärungsversuche für das Phänomen der natürlichen Homochiralität. Stud. Int. J. 13, 14-21. (in ähnlicher Form online: Die fehlenden Spiegelbilder)

Junker R & Scherer S (2006) Evolution – ein kritisches Lehrbuch. 6. Aufl. Gießen, Kapitel IV.7.

Autor dieser News: Harald Binder

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